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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman
Autoren: Klaus Kordon
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Unruhe in ihnen aber ließ sich mit keinem noch so logischen Argument vertreiben. Und was noch schlimmer war: Die Kinder durften diese Unruhe nicht mitbekommen. Weshalb sie ihnen Urlaubslaune vorspielten und sich ihrer Lügen schämten.
    Damals wie heute: Spaziergänge voller Herzbeklemmung. Schon im Flieger der Gedanke, was sein würde, sollte er auf der rumänischen Fahndungsliste stehen. Die Staatssicherheitsdienste der sozialistischen Länder arbeiteten eng zusammen, wie er spätestens seit Burgas wusste, und er war ja nur »auf Bewährung« aus seinem Staat entlassen worden. Zwar hatte er sich seither im Hinblick auf das DDR-Recht nichts »zuschulden« kommen lassen, doch was besagte das schon in Staaten, die ihr eigenes Recht kneteten, wie es ihnen gerade passte? – Und war es denn wirklich nur Zufall, dass er, während Hannah auf dem Weg nach OstBerlin war, um die Kinder zu holen, nach Bukarest musste?
    An der Grenze jedoch hatten sie ihn ohne großes Aufheben passieren lassen. Nichts als der übliche Blick ins Gesicht, die Stempel, die Zollkontrolle. – Nein! Nichts zu verzollen, nur ein paar unerlaubte Gedanken im Kopf. – Aber wusste er denn, ob seine Passdaten nicht längst weitergemeldet worden waren und er auf Schritt und Tritt beschattet wurde? Sie hatten viel Fantasie, die »Organe« der sozialistischen Länder. Vielleicht vermuteten sie irgendein geheimes Treffen mit anderen »Gegnern« ihrer Art von Sozialismus.
    Doch je länger er im Land war, desto mehr legte sich sein Verdacht. Irgendwann war er dann überzeugt davon, dass er für die rumänischen Staatsorgane tatsächlich nur einer der vielen westdeutschen Kaufleute war, die in den teuren, allein Westlern vorbehaltenen Hotels abstiegen, um dem rückständigen Land qualitativ hochwertige westdeutsche Technik zu verkaufen. Ein Rest Unsicherheit jedoch blieb. Er zählte die Tage, sehnte den Heimflug herbei: Wenn er doch nur erst wieder zu Hause war in jenem kleinen Ort in der Nähe von Frankfurt am Main, in dem Hannah und er nun lebten! Wenn Hannah und er ihre Reisen doch nur erst glücklich überstanden hatten! Wenn er nur bald die Kinder in die Arme schließen durfte!
    Sorgen und Hoffnungsbilder vermischten sich, bis alles sich in ihm drehte. Und die Geschäftsgespräche stimmten auch nicht heiterer. Zwar hatten die Rumänen, was er ihnen anbot, bitter nötig – die Medizintechnik ihres Landes war auf dem Vorkriegsstand, moderne Geräte fehlten an allen Ecken und Enden –, doch womit bezahlen? Die Devisen waren knapp.
    Er kam sich nutzlos vor und war in Gedanken fast ständig bei Hannah, Silke und Micha, die sich in diesem Augenblick vielleicht gerade in den Armen lagen. Ein Bild, das schmerzte, ihn aber dennoch nicht losließ. Auf all seinen Wegen begleitete es ihn. Eine ständige Qual, eine Selbstbestrafung, von der er nicht glaubte, dass er sie verdient hatte.
    Ein einziges Mal in den Jahren der Trennung hatten Hannah und er die Kinder besuchen dürfen. Eine Überrumpelungsaktion, die sie gleich nach ihrer Haftentlassung gestartet hatten. Kaum hatten sie ihre westdeutschen Pässe in den Händen, waren sie mit dem Zug von Frankfurt nach WestBerlin gefahren, um dort mit wild klopfenden Herzen zur Grenze zu gehen. Schließlich hatte man ihnen bei ihrer Ausreise empfohlen, die DDR in den nächsten Jahren besser zu meiden. Sie aber hatten die Trennung von den Kindern nicht länger ausgehalten, wollten, mussten den Versuch starten, Silke und Micha wiederzusehen. Sie wollten ihnen Mut machen, sie trösten, ihnen zeigen, dass ihre Eltern noch für sie da waren, und sie endlich mal wieder in die Arme schließen. Und tatsächlich, kaum zu glauben, entgegen all ihren Erwartungen hatte man sie passieren lassen. Beweis dafür, dass ihre Namen zu jener Zeit noch nicht auf der Liste der unerwünschten Personen standen? Waren sie schneller gewesen als die Stasi-Bürokratie?
    Den Leiter des Kinderheimes, in dem Silke und Micha untergebracht waren, kannte Lenz. Früh Waise geworden, hatte er selbst einige Jahre in Heimen verbracht. Doch ob der kahlköpfige, bullige Mann in Lenz jenen fünfzehnjährigen Burschen wiedererkannte, der schon damals über seine »realsozialistischen« Erziehungsmethoden am liebsten nur gegrinst hatte? Wenn ja, so zeigte er es nicht.
    Die Überrumpelung jedoch funktionierte. Hätten sie sich vorher angemeldet, hätten sie die Kinder garantiert nicht sehen dürfen. So standen sie einfach vor der Tür, und das an einem
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