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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman
Autoren: Klaus Kordon
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Kraft, Lebensfreude und Optimismus. Weshalb sie zu ihren ewigen Jeans auch nur rote Pullis trug, die gut zu ihren stoppelkurzen, blonden Haaren passten. Mal Ralf, mal Fränze am Lenkrad, so war es im zügigen Tempo gen Osten gegangen. Hannah auf dem Beifahrersitz registrierte vor Nervosität jeden einzelnen Kilometer. Ihr ganzer Körper – ein einziges Kribbeln! Nichts als Vorfreude und Furcht vor dem, was vielleicht doch noch passieren könnte, war in ihr.
    Wie Fränze dann in Helmstedt zurückblieb, da sie, die einstige Fluchthelferin ihrer Schwester und ihres Schwagers, in der DDR sofort verhaftet worden wäre. Wie Hannah mit dem dicken, schwarzlockigen Ralf allein weiterfuhr, diesem Seelchen von Mann, ein seiner Fränze und damit ihrer gesamten Familie treu ergebener Freund. Wie Hannah, je näher sie Berlin kamen, immer zappeliger wurde und die Genossen vom Jugendamt des Stadtbezirks Berlin-Mitte dann tatsächlich Schwierigkeiten machten, weil bestimmte Papiere nicht sorgfältig genug ausgefüllt waren. Das musste nachgeholt werden, sofort, mit zittrigen Fingern und einem Blutdruck außerhalb jedes messbaren Wertes.
    Irgendwann aber war auch das geschafft und sie parkten vor dem Heim. Hannah ging hinein – und die Kinder kamen ihr schon entgegengelaufen. Keine fünf Minuten später saßen sie zu dritt auf dem Rücksitz, Hannah in der Mitte, in dem einen Arm Silke, im anderen Micha, so als könnte man ihr ihre Kinder doch noch entreißen wollen. Der Beifahrersitz wurde nicht gebraucht.
    Zurück in Helmstedt – Freudentänze! Fränze, die Kinder, der vor Ergriffenheit zum x-ten Mal heulende Ralf und Hannah, sie nahmen sich an den Händen und tanzten ausgelassen im Kreis. Ein wahrer Ringelreigen der Wiedervereinigung!
    Berichte, die Lenz freuten und schmerzten. Hätte er denn nicht dabei sein müssen? Wieso hatte der große Regisseur im Himmel, der doch für alles und jedes zuständig war, ihm dieses Erlebnis verweigert? – Es ging nicht gerecht zu im Leben, war noch nie gerecht zugegangen.
2. Partytime
    A n die Zeit, bevor die Kinder kamen, dachte Lenz später nicht gern. Hannah und er hatten geglaubt, ihre Entlassung aus der Haft würde Glücksgefühle hervorrufen; dass sie ohne Silke und Micha ausreisen mussten, hatte ihnen jede Freude genommen. Immerzu blickten sie zurück. Wie sollten sie denn vorwärtsdenken, solange ihr Leben dermaßen aus den Fugen geraten war?
    Dieses trostlose Warten in der kleinen Reihenhaussiedlung in der Nähe von Limburg an der Lahn! Die bekennende Frankfurterin Fränze hatte sich hier eingekauft, um ihr Geld sinnvoll anzulegen.
    »Erst wenn du keine Miete mehr zahlst, bist du ein wahrhaft freier Mensch.« So hatte die ehemalige Stadtindianerin diesen Schritt in die »heile Welt der Provinz« vor sich selbst entschuldigt. Über ihre neuen Nachbarn lachte sie und gab vor, sie zu beobachten. Zu privaten Studienzwecken. Erst nach einigen Wochen des Zusammenlebens gestand sie, auch an Altersabsicherung gedacht zu haben.
    »Das ist im Kapitalismus anders als in eurem Arbeiter-und-Bauern-Sozialismus«, sagte die promovierte Romanistin Franziska Möller achselzuckend. »Hier fängt dich kein Staat auf, wenn du irgendwann mal völlig abgebrannt bist. Hier landest du unweigerlich in der Abfalltonne. Da ist der Gedanke an ’ne eigene Hütte, aus der dich keiner rausschmeißen kann, ’n sanftes Ruhekissen. Außerdem kann man so ’ne Immobilie ja wieder verkaufen und mehrere Weltreisen mit dem kassierten Moos machen, falls man seine letzten Jahre nicht hinterm Ofen verbringen will.«
    Gedanken, wie Hannah und er sie sich nie zuvor gemacht hatten. Wer denkt an Eigenvorsorge in einem Staat, der am liebsten noch den Stuhlgang seiner Bürger in seinem Sinne regeln würde?
    Mit einem Schlag lebten sie in einer ganz anderen Welt. Hier galten andere Maßstäbe, andere Gesetze. Doch waren sie gewillt, sich darauf einzulassen. Nur, bei aller Liebesmüh, der Unterschied war zu krass. Dort die Großstadt OstBerlin, zwar nicht besonders glitzernd, aber doch sehr lebendig, hier ein behagliches Zierblumenhausen, in dem viele ins Ländliche geflüchtete Kleinbürger sich eingerichtet hatten.
    Lenz war unter Kleinbürgern aufgewachsen, in der Schule sogar mal von einer klassenkämpferischen Lehrerin seiner Herkunft wegen als kleinbürgerliches Individuum beschimpft worden. So hatte er bereits als Kind über diese Einteilung in »fortschrittliche« und »rückschrittliche« Klassen nachdenken müssen. Bis
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