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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick
Autoren: Jodi Picoult
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seinem verstrubbelten Haar plötzlich aus wie ein kleines Kind. »Ist das dein Ernst?« Cassie nickte und schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter. Sie lauschte Connors Atem, der im Hintergrund aus dem Babyfunk drang. »Gut«, befand Alex und schloß sie in die Arme. »Ich habe mich allmählich vernachlässigt gefühlt.«
    Hungrig legte sich sein Mund auf ihren, raubte ihr den Atem und den Verstand. »Nein«, flüsterte sie, ohne sich um die Tränen zu kümmern, die ihr in den Augenwinkeln zitterten. »Niemals.«
    Liebe Cassie,
    ich hoffe, Du und Connor seid okay und glücklich in L. A. Ohne Euch ist Pine Ridge nicht dasselbe. Ehrlich gesagt glaube ich, ich habe mich bloß damit angefreundet, weil es mir ganz anders vorkam, als Ihr hier wart. Fröhlicher wahrscheinlich. Nicht so schmuddelig und nicht so blaß.
    Ich schreibe, weil ich Dir versprochen habe, Dich zu benachrichtigen, wenn ich einen neuen Job habe. Nächste Woche ziehe ich nach Tacoma, Washington, und fange dort bei der Polizei an. Vielleicht werde ich ja irgendwann, wenn ich endlich mit mir selbst klarkomme, lang genug an einem Ort bleiben, um befördert zu werden.
    Wenn L. A. Dich nicht total mürbe gemacht hat, so wie mich bei meinem ersten Aufenthalt, dann denkst Du vielleicht sogar ab und zu an uns.
    Ich vermisse das Baby. Ich vermisse Dich. Und, verdammt, das ist der schlimmste Schmerz. Paß auf Dich auf, wasicun winyan.
    Will
    Alex legte den Hörer auf und schaute auf seine Uhr. Er hatte sich eben in einer Stunde mit Phil Kaplan verabredet, um die mündliche Absprache über die Finanzierung des Filmes festzumachen, den Alex als nächstes drehen wollte. Er hatte das Drehbuch ganz zufällig in einem Stapel voller Schund aufgestöbert; es war unbezahlbar, hatte aber ein paar schwere Mängel, an denen jetzt ein Drehbuchautor und Oscarpreisträger feilte. Schon sah er die einzelnen Szenen vor sich, ließ sie wieder und wieder vor seinem inneren Auge ablaufen. Er hatte sich schon Notizen für die Besetzung der Hauptrollen gemacht und sich die Liste in die Tasche gestopft, um mit Phil darüber zu reden.
    Natürlich, wenn er mit Phil essen ging, würde er die Therapiegruppe schon zum zweiten Mal hintereinander verpassen.
    Cassie war mit Connor, Ophelia und einer Wagenladung Sonnenschirme an den Strand gefahren; sie würde es nicht so schnell mitbekommen.
    Alex nahm den Hörer, um Dr. Pooley anzurufen, und legte dann wieder auf.
    Er hatte es Cassie versprochen.
    Er konnte einen neuen Termin mit Phil ausmachen.
    Der bis morgen früh zweifellos schon jemand anderem zugesagt hätte.
    Er sagte sich, daß er nicht einmal im Traum daran gedacht hatte, die Gruppensitzung ausfallen zu lassen, wenn er nicht dieses Gefühl im Bauch hätte, daß dieser Film noch erfolgreicher werden könnte als Die Geschichte seines Lebens. Und unglücklicherweise waren alle wichtigen Termine auf einen Sonntagnachmittag gefallen. Er sagte sich, daß sich Cassie in einem Jahr, wenn er wieder Oscars abräumte, bestimmt nicht mehr daran erinnern würde.
    Er hob den Hörer wieder auf. Nächste Woche gab es wieder eine Sitzung, und Cassie würde ihn bestimmt verstehen.
    So wie immer.
    Am folgenden Mittwoch nahm Dr. Pooley Cassie nach der Sitzung der Frauengruppe beiseite. »Vielleicht sollten Sie Alex fragen«, meinte sie behutsam, »ob er sich wirklich ernsthaft um Hilfe bemühen will.«
    Cassie starrte die Therapeutin an. »Natürlich will er das«, antwortete sie ausweichend und versuchte sich auszumalen, was Alex in seiner Gruppe gesagt haben könnte, um Dr. Pooley zu dieser Bemerkung zu veranlassen. Als sie ihn nach der Sitzung gefragt hatte, hatte er geantwortet, alles sei gut gelaufen.
    »Ich weiß, daß Sie es tun«, sagte Dr. Pooley. »Aber das ist nicht das gleiche. Ich habe ja Verständnis, wenn er eine Sitzung wegen einer geschäftlichen Verabredung ausfallen lassen muß, aber zwei hintereinander finde ich schon ziemlich viel. Wenn er Ihre Ehe mittels Therapie retten will«, merkte sie an, »sollte er damit anfangen, auch tatsächlich hinzugehen.«
    »Er war letzten Sonntag nicht hier«, wiederholte Cassie langsam. Plötzlich begriff sie. Sie wendete die Worte in ihrem Kopf hin und her, fragte sich, wo Alex wohl gewesen war, warum er sie angelogen hatte. Sie sah auf und lächelte Dr. Pooley entschuldigend an. »Er hat gerade ein wichtiges Geschäft abgeschlossen«, meinte sie. »Von jetzt an wird er bestimmt kommen.«
    »Cassie«, mahnte Dr. Pooley sanft, »Sie brauchen ihn
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