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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick
Autoren: Jodi Picoult
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wofür, aber danke.«
    Die Psychotherapeutin lächelte. »Es wird mit jedem Mal leichter.«
    Cassie nickte. »Ich glaube, ich hatte erwartet, mich rechtfertigen zu müssen. Als würde niemand verstehen, wie ich Alex nach allem, was er getan hat, immer noch lieben kann. Ich dachte, sie würden mich alle anstarren, als sei ich verrückt, so lange bei ihm zu bleiben.«
    Dr. Pooley nickte. »Das haben wir alle durchgemacht«, sagte sie.
    Cassies Augen wurden groß. »Sie auch?«
    »Ich war zehn Jahre lang mit einem Mann verheiratet, der mich geschlagen hat«, sagte sie. »Insofern bin ich die letzte, die Sie dafür verurteilen könnte, daß Sie bei ihm bleiben.« Sie hielt Cassie die Tür auf.
    Cassie starrte die Therapeutin immer noch an. »Es – es tut mir leid. Ich hätte einfach nie damit gerechnet.«
    »Na ja, wir lassen es uns schließlich nicht auf die Stirn tätowieren, oder?« antwortete sie freundlich.
    Cassie schüttelte den Kopf. »Aber jetzt geht es besser?« fragte sie, weil sie soviel Hoffnung wie möglich mit nach Hause zu Alex nehmen wollte.
    »Ja«, antwortete Dr. Pooley mit einem Seufzen. Sie sah Cassie lange an. »Jetzt, wo wir geschieden sind.«
    Alex kreiste mit den Hüften, drang immer tiefer, ließ seine heißen Lippen über ihre Halsbeuge wandern, als Connor aus dem Lautsprecher neben dem Bett zu weinen begann.
    Cassie spürte, wie ihre Brüste kribbelten und Milch abgaben, die ihr zu beiden Seiten hinabrann, während sich Alex zum zweiten Mal in dieser Nacht von ihr herunterrollte. Er blieb auf dem Rücken liegen, starrte an die Decke und biß die Zähne zusammen. »Herrgott noch mal, Cassie«, fauchte er. »Kannst du ihn nicht zum Schweigen bringen?«
    Aber sie war schon in einen pfirsichfarbenen Satinmorgenmantel geschlüpft und auf dem Weg zur Tür. »Bin gleich wieder da«, sagte sie.
    Es war nichts weiter; nur ein Schnuller, der sich beim Umdrehen unter Connors Hals festgeklemmt hatte. Sie rieb ihm den Rücken, lauschte, wie sich sein Weinen in einen leisen Schluckauf verwandelte, und mußte daran denken, wie absolut hilflos er war.
    Sie schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer und ging über den Flur ins Schlafzimmer zurück. Alex lag reglos da und hatte ihrer Bettseite den Rücken zugewandt. Als sie die Tür hinter sich zuzog, drehte er sich nicht um.
    Cassie schlüpfte unter die Decke und schmiegte sich an Alex’ Rücken. »Wo waren wir stehengeblieben?«
    »Herrgott, Cassie. Ich kann mich nicht an- und ausknipsen wie eine verdammte Nachttischlampe. Ich kann nicht in Ruhe essen, ich kann keine Nacht durchschlafen, ich kann nicht mal mit dir schlafen, ohne daß dieses Kind uns unterbricht.«
    »Dieses Kind«, antwortete Cassie spitz, »tut all das nicht absichtlich, Alex. Du bist nicht der einzige Vater auf der Welt. Das Leben ändert sich einfach, wenn man Kinder hat.«
    »Ich habe ihn nie gewollt.«
    Cassies Hand erstarrte auf Alex’ Hüfte. »Das meinst du nicht ernst«, flüsterte sie.
    Alex warf ihr einen Blick über die Schulter zu. »Wenn du schon kein Kindermädchen willst, dann solltest du dir wenigstens eine Nachtschwester suchen. Ich habe keine Lust, das noch länger zu ertragen. Entweder du stellst jemand ein, oder ich ziehe in ein anderes Zimmer.« Er zog sich ein Kissen über den Kopf.
    Cassie mußte daran denken, was Dr. Pooley während der Gruppensitzung am vergangenen Abend gesagt hatte, als sie die Persönlichkeitsstruktur eines mißhandelnden Mannes beschrieb. Solche Ehemänner wollen nicht, daß ihre Frauen enge Freunde haben, hatte sie gesagt. Ihnen mißfällt die Vorstellung, daß ein anderer Forderungen an die Person stellt, die ihrer Meinung nach ganz und gar ihnen gehört.
    Ihr war augenblicklich Ophelia in den Sinn gekommen - und Alex’ Unfähigkeit, ihrer Freundin den einzigen Fehler zu vergeben, den sie ihm gegenüber je begangen hatte. Aber jetzt begann Cassie Dr. Pooleys Erklärung in einem anderen Licht zu sehen. Sie blickte auf Alex’ Hände, die das Kissen auf seinen Kopf preßten. Er konnte es nicht ertragen, daß ein anderer Cassie ebensosehr brauchte wie er. Nicht einmal, wenn es sein eigener Sohn war.
    »Alex«, flüsterte Cassie. »Ich weiß, daß du noch nicht schläfst.« Sie tippte ihm auf die Schulter und zog ihm das Kissen vom Ohr. Alex stöhnte und rollte sich auf den Bauch. »Ich werde jemand anstellen. Morgen suche ich mir jemanden.«
    Alex schlug die Augen auf und stützte sich auf die Ellbogen. Er strahlte sie glücklich an und sah mit
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