Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts
Autoren: R Lappert
Vom Netzwerk:
Auf dem sauberen Boden stand eine Plastikschüssel mit Futter, an einem aus der Wand ragenden Chromstahlrohr konnte das Tier seinen Durst löschen. Aus zwei mit starren Lamellen versehenen Öffnungen in der Decke drang ein kaum hörbares Summen, ein Lufthauch bewegte die feinen Härchen im Fell des Affen. Entlang der Rückwand der Box verlief eine Rille, die in einem vergitterten Abfluss endete.
    In den Boxen rechts daneben und auf der gegenüberliegenden Seite hockten weitere Rhesusaffen, dann folgten zwei Javaneraffen und mehrereSchweinsaffen. Das Fell vieler Tiere wies kahle Stellen auf, ein Schweinsaffe hatte einen Verband am Arm, ein magerer Javaneraffe eine verschorfte Wunde am Bein. Einige schienen zu schlafen oder zu dösen, andere saßen wach und völlig bewegungslos da, den leeren Blick auf etwas gerichtet, das sich hinter Megan befand, hinter der Mauer des Gebäudes und dem Rand dieser Welt.
    »Was macht ihr mit ihnen?«, fragte Megan und merkte erst jetzt, dass sie weinte. Im Schlachthaus in England hatte sie sich in einem finsteren Albtraum aus Lärm und Gestank, Blut und Kadavern bewegt und geglaubt, das Schlimmste gesehen zu haben, was Menschen Tieren antun können; in diesem dämmerigen Tunnel waren Leiden und Tod stiller und sauberer, aber nicht weniger schrecklich.
    »Versuche mit ihrem Blut«, antwortete Ester, die neben der Tür auf einer weißen Kiste saß.
    »Sie haben alle irgendein Virus?«
    »Die meisten.«
    »Woher kommen sie?«
    »Aus Afrika. Und von Züchtern.«
    »Wie viele habt ihr?«
    »Früher etwa dreihundert. Jetzt noch zwanzig.«
    »Warum?«
    »Wir gehen weg von hier.«
    »Wohin?«
    »Torben will nach Afrika. Senegal. Vielleicht Kamerun.«
    »Gehst du mit?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Was passiert mit den Affen?«
    Ester zögerte mit der Antwort. »Wir schläfern sie ein«, sagte sie dann und erhob sich.
    Megan sah, dass Ester nicht auf einer Kiste gesessen hatte, sondern auf einem Stapel weißer Säcke, wie sie neben dem Ofen aufbewahrt wurden. »Und das Dschungelkind?«, fragte sie. »Schläfert ihr das auch ein?«
    Ester wurde bleich, ihr Blick glasig. Für einen Moment schien es, als würde sie die Fassung verlieren, aber dann schloss sie die Augen und atmete ein paarmal tief ein und aus. »Torben«, brachte sie endlich mühsamund mit matter Stimme hervor. »Er wollte es unbedingt. Wir waren dagegen. Aber das kümmerte ihn nicht. Vor ein paar Jahren hatte er schon mal so ein Mädchen. Lara. Es lebte nicht mehr, als ich auf die Insel kam.«
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
    »Er will es mitnehmen.«
    »Wie wollt ihr hier weg?«
    »Mit dem Schiff.«
    »Wann?«
    »Bald. – Und du? Was ist mit dir?«
    »Ich wollte heute Abend fort. Aber jetzt …«
    »Fort? Wie?«
    »Ist doch egal«, sagte Megan.
    Ester ging zu Megan, blieb zwei Schritte vor ihr stehen. In diesem Licht sah sie noch erschöpfter aus, waren die Ringe unter ihren Augen noch dunkler. »Bleib hier«, sagte sie leise, und dann, etwas lauter: »Bitte.« Sie streckte den Arm aus und ließ ihn wieder sinken.
    Megan drehte sich um und ging weiter an den Boxen entlang zum Ende des Raumes, wo vor einer weißen Wand ein Regalgestell aus Chromstahl und ein Kühlschrank standen. Auf den Regalbrettern lagen Medikamentenschachteln, unbeschriebene Registerkarten, Stifte, ein Stethoskop. Der Kühlschrank war bis auf ein paar Schalen voller Früchte leer. Erst als Megan die Tür schloss, bemerkte sie den Affen in der hintersten Box. Es war ein Schimpanse. Er saß mit angewinkelten Beinen an die Rückwand seines Gefängnisses gelehnt da und starrte auf den Boden vor sich. Megan ging in die Hocke und sah ihn an. Er war jung, jünger als Wesley, aber mit dem Schimpansen, der in Nancys Haus lebte, hatte er so wenig Ähnlichkeit wie eine zerschlissene Stoffpuppe mit einem lebendigen Wesen. Sein kleiner Körper war dürr, sein Fell schütter und stumpf, und über seine Pupillen hatte sich ein fahler grauer Film gelegt. Eine Stelle an seinem linken Arm war rasiert, aus der hellen Haut leuchtete dunkelrot die Einstichstelle einer Injektionsnadel.
    Er starrte nicht auf den Boden. Er beobachtete einen winzigen schwarzen Käfer, der sich in seine Zelle verirrt hatte und über die Fliesen krabbelte. Mit einer von Schwäche oder großer Behutsamkeit verlangsamten Bewegung schob er eine Hand vor das Insekt und wartete, bis es aufseinen Finger kletterte. Den Arm zu heben, schien ihn unsagbar anzustrengen, und er legte die Hand auf sein Knie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher