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Auf den ersten Blick

Auf den ersten Blick

Titel: Auf den ersten Blick
Autoren: D Wallace
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mit Milch und Zucker ertränkt, während ich meinen Sorgen etwa hundert Meter entfernt zu entkommen suchte.
    Und sie machte einen liebenswerten Eindruck.
    Und ich wusste, dass es niemals etwas werden würde.
    Denn das Mädchen – ich hatte beschlossen, dass ich sie erst Shona nennen durfte, wenn ich sie kannte – hatte einen Entschluss gefasst. Wenn ihr nicht jemand die Welt zeigte, wenn sie die Welt nicht mit jemandem gemeinsam sehen konnte, dann wollte sie sich die Welt eben allein ansehen.
    Sie hatte das Auto ihres Vaters verkauft, den Facel Vega ihrer Kindheit, mit dem sie nach Glasgow gefahren war, um Take That zu sehen, den sie übernommen hatte, als er gestorben war, und sie hatte alles Geld zusammen gekratzt. Sie hatte ihre Wohnung aufgegeben und ihren Arbeitgeber informiert.
    Wie standen meine Chancen? Wie stehen die Chancen, wenn der andere Mensch gar nicht weiß, dass man existiert?
    Sie wollte am Samstagmorgen vom Bahnhof King’s Cross abfahren.
    Allein, denn ihr waren – genau wie mir – Begrüßungen lieber als Abschiede.
    Wäre ich in einem Film, hätte ich erst morgens herausgefunden, dass sie wegfuhr. Ich hätte es auf Impulsivität und Dringlichkeit und darauf schieben können, dass ich meinem Herzen folgte, wenn ich meine Wohnungstür aufriss oder aus einem wichtigen Meeting flüchtete oder die Hochzeit meiner Exfreundin verließ oder Millionen andere kleine Opfer brachte. Aber mir blieb eine ganze Woche, um zu warten und darüber nachzudenken, meine Meinung zu ändern, mich dagegen zu entscheiden und mir auszumalen, was vielleicht passierte, wenn ich es tat.
    Und dann wurde eines Abends aus dem Freitag ein Samstag, und schon war der Morgen da.
    »Nein.«
    »Du musst es tun.«
    »Muss ich nicht.«
    »Level 2 . Musst du wohl.«
    »Muss ich nicht, Dev.«
    »Du musst, Jase.«
    »Muss ich nicht, Abbey.«
    »Solltest du aber.«
    »Sie sollten es wahr machen, Mr Priestley.«
    Ich saß in der Küche, zwischen meinen gepackten Kisten, bereit für den Umzug, bereit für Level 2 , und ich sah dem Wasserkocher zu, wie er zum Ticken der Uhr immer und immer wieder brodelte.
    Ich war früh aufgewacht. Hatte alles getan, um mich abzulenken. Ich hatte mein Notebook aufgeklappt, mich durchgeklickt, war bei Facebook gelandet und lachte, als ich dieselben vier Worte wiedersah.
    … schwebt im siebenten Himmel.
    Doch jetzt taten sie mir nicht mehr weh. Sie gaben Anlass zur Freude.
    Ich klickte die Bilder an.
    Sarah. Glücklich. Braun gebrannt. Ihre Hand auf ihrem Bauch. Garys Arm um ihre Schulter, voller Bewunderung. Ich lächelte.
    Ich saß dort in der Wintersonne und sah den Briefträger kommen und gehen, hörte den Hund nebenan zur Begrüßung bellen.
    Und als ich langsam aus dem Haus ging und die Black stock Road hinauflief, zur Upper Street, die Caledonian Road entlang, an Power Up! vorbei, auf dem Weg nach King’s Cross, wusste ich, dass ich mich gerade eben auf etwas eingelassen hatte.
    Ich hatte immer gewusst, dass ich es tun würde.
    Am Bahnhof suchte ich die Bahnsteige ab.
    Nichts, vorerst. Reinigungspersonal, Schaffner, Männer mit Aktenkoffern und Zeitungen.
    Ich war ganz ruhig. Die Frau, die ich suchte, wusste nicht, wie ich aussah. Die Leute um mich herum würden annehmen, dass ich auf einen Zug wartete. Vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben spielte mangelndes Selbstbewusstsein keine Rolle. Ich war ganz … ruhig. Ich hatte alles im Griff.
    Und dann … als lockten mich die Farben an.
    Eine Sekunde blieb ich stehen, lehnte mich an einen Pfeiler, tastete nervös nach den Fotos in meiner Tasche, wie ich es schon auf dem Weg hierher getan hatte.
    Der blaue Mantel. Rote Schuhe. Rucksack und Taschen.
    Einen Moment lang wäre ich am liebsten weggelaufen. Hätte es mir anders überlegt und kehrtgemacht. Was genau hatte ich hier zu gewinnen? Was hatte ich zu verlieren? Was würde Dev mir raten? Nun, er würde mir sagen, ich sollte den Moment nutzen, damit ich wenigstens wuss te, dass etwas zu Ende gegangen war, selbst wenn nichts begonnen hatte, aber die Sache war …
    »Sie kenn ich doch …«, sagte die Stimme.
    Sie hatte sich umgedreht, warf mir ein kurzes Lächeln zu. Dieses Lächeln.
    »Hi …«, sagte ich.
    » Kenne ich Sie?«
    Ich stand ihr näher, als ich gedacht hatte. Ich tat so, als blickte ich zu der elektronischen Tafel mit den Abfahrtszeiten, aber die war kaputt, also sah ich das Mädchen wieder an.
    Das war der Moment.
    Mir fiel ein, dass ich mir etwas überlegt hatte. Ich wusste genau,
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