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Auf den ersten Blick

Auf den ersten Blick

Titel: Auf den ersten Blick
Autoren: D Wallace
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was ich sagen und wie ich damit umgehen sollte, denn ich hatte es geprobt, und nicht nur ein Mal. Ich hatte mir gesagt, am besten sollte ich offen und ehrlich sein. Pragmatisch und vernünftig. Geh es an, als wäre es das Normalste von der Welt. Doch das alles brach nun in sich zusammen, hier in ihrer Gegenwart, beim Klang ihrer Stimme.
    »Also …«, sagte ich. »Folgendes …«
    Sie neigte ihren Kopf und lächelte … erinnerte sie sich an die Charlotte Street, das Taxi, die Tüten, den Fahrer und seine Zigarette? Oder hatte sie mich vielleicht an jenem Abend in dem Café bemerkt? Oder lag es vielleicht nur daran, dass ich sie ansah wie jemand, den sie kennen sollte?
    Einen Moment lang herrschte ein Schweigen, das ich hätte ausfüllen können. Doch mir fehlten die Worte. Also griff ich in meine Tasche und händigte ihr den Umschlag aus, mittlerweile geknickt und zerknüllt und zerrissen, und er sah so müde und beschämt aus wie ich selbst.
    Es dauerte eine Sekunde, bis sie merkte, was los war. Dass dieser Umschlag ihr gehörte. Dass ich die Fotos entwickelt hatte. Dass ich etwas von ihr gesehen hatte. Ich – ein Fremder.
    Sie hätte in diesem Moment alles tun können. Schreien, weglaufen.
    Doch das tat sie nicht. Sie öffnete den Umschlag, schaute sich die Bilder an, schien sich mit halbem Lächeln über alte, traurige Erinnerungen zu freuen.
    »Natürlich … um Sie zu finden, ich meine, um Ihnen die Fotos zurückzugeben, weil es ja Ihre sind, musste ich … wissen Sie …«
    Ich deutete auf den Umschlag. Sie nickte und biss sich auf die Lippe. Ich konnte beim besten Willen nicht sagen, was sie dachte.
    »Danke«, sagte sie und blickte auf. Ihre nächste Frage hätte »Wie?« sein sollen.
    Aber sie sagte nichts. Als hätte sie mich erwartet.
    Ich betrachtete sie. Taschen. Rucksack. Eurostar-Ticket in der Hand.
    Für mehr als das war keine Zeit.
    Na ja, für eine Sache vielleicht noch.
    »Hören Sie, also … für den Fall, dass Sie mal Hallo sagen möchten …«, sagte ich und gab ihr noch etwas anderes.
    Meine Einwegkamera. Zwölf meiner eigenen Momente.
    Sie nahm sie entgegen und lächelte, als würde sie verstehen, dann sah sie mich noch einmal an. Es war ein Blick des Erkennens, irgendetwas dämmerte ihr, mein Gesicht bedeutete ihr mehr als gerade eben noch …
    »Ich wusste, dass ich Sie kenne«, sagte sie.
    »Ich glaube, ich wusste auch, dass ich Sie kenne«, sagte ich.
    Und dann zog ich mich zurück, überließ sie ihren Taschen und ihrem Zug und ihrer Zukunft, und ich ging aus dem Bahnhof und suchte Dev und Pamela und Abbey und Matt, um ihnen davon zu erzählen, um ihnen zu erzählen, dass ich sie gefunden und zugelassen hatte, dass sie wegfuhr.
    Und dann würden wir trinken und lustig sein, und ich würde den Rest meines Lebens beginnen, von heute an.

siebenundzwanzig
    Oder: › › Halfway There ‹ ‹
    »Also?«, sagte ich strahlend. »Was meint ihr?«
    »Erstaunlich!«, sagte Dev kopfschüttelnd, verloren im Augenblick. »Einfach erstaunlich .«
    Etwa eine Stunde nach meiner Begegnung am Bahnhof saßen wir einmal mehr im Postman’s Park.
    Pamela, Abbey und Matt hatten Dev unter dem Vor wand dorthin gerollt, dass sie in ein ungewöhnliches Nando’s einkehren wollten, aber in Wahrheit hatten sie alles dabei, was wir brauchten: Pamela hatte Krokiety gemacht, ich hatte ein Sixpack Lech geholt, und die große Enthüllung war gut gelaufen – sogar mit einem kleinen, blauen Vorhang, den St. John’s noch aus den Achtzigern von Prinzessin Annes Besuch zur Einweihung des naturwissenschaftlichen Flügels hatte.
    Eine neue Gedenktafel an der Mauer.
    DEVDATTA PATEL
    Restaurateur und Videospielenthusiast.
    Riskierte sein Leben auf der Caledonian Road, um eine Radfahrerin in Not zu retten, starb nicht wirklich, verletzte sich aber ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit am Bein.
    Stolz starrte Dev seine Gedenktafel an.
    »Wisst ihr, ich werde Leute hierherlotsen, damit sie das sehen«, sagte er. »Und dann sage ich: ›Ach Gott, ist das immer noch da?‹«
    »Genau, du musst verlegen und bescheiden tun«, sagte Abbey, und Matt gab einen Laut von sich, als hätte sie eben gesagt, Wale trügen kleine Hütchen.
    Ich polierte die Gedenktafel ein wenig. Sie befand sich etwas abseits der anderen, und ich hatte mich gestern Abend ziemlich spät mit Klebstoff anschleichen müssen, aber da war sie, prachtvoll in der Mittagssonne.
    Ich kam mir vor wie Banksy, der Sprayer. Wie lange würde es dauern, bis jemand etwas
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