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Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
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versteht, dass man hierfür das Charisma des Monte do Gozo zerstört hat. Musste
man diese Kasernen unbedingt hier, an diesem Ort, aufbauen? Natürlich nicht,
aber man wollte es eben, man wollte auch dieses Emblem vermarkten. Ich erinnere
mich an das, was Antonio vor zwei Tagen gesagt hat und mir dämmert auch schon,
wessen Triumph das bombastische Denkmal dort oben ausdrücken könnte. Ein
Franzose stellt die Frage, welche andere große Religion es wohl zulassen würde,
dass man einen solchen Ort auf so skrupellose Weise dem Kommerz unterpflügt.
     
     

Santiago de
Compostela
     

    Vom Monte do
Gozo kommend, betreten wir schon um 8 Uhr morgens die Altstadt von Santiago de
Compostela und stehen kurze Zeit später, klein wie Ameisen, vor der riesigen
Kathedrale.
    Wir sind
also angekommen, stehen verstaubt und verschwitzt und auch ein bisschen müde am
Ende unseres langen Weges. Es war ein einsamer Weg über karge Gebirge und
melancholische Hochebenen, durch ausgetrocknete, glühende Steppen, aber auch
durch grüne, fruchtbare
Ebenen, wir waren unterwegs mit der Sonne und dem Wind, den Wolken und dem
Regen. Es war ein Weg vorbei an uralten Kirchen und Klöstern, an ehemaligen
Pilgerhospizen und an kleinen Einsiedeleien, an Palästen von früher und an Hütten
von heute, über verwitterte Steinbrücken und auf schmalen Pfaden. Wir haben in
einfachen Herbergen geschlafen und frisches Wasser aus alten Brunnen getrunken.
Wir haben in der Stille des alten Pilgerweges gefühlt, dass auch wir ein Teil
jener sind, die seit tausend Jahren diese einsame Wanderung ans Grab des
Apostels im fernen Galicien auf sich genommen haben .Wir sind Menschen
begegnet, die an diesem Weg leben und solchen, die hier unterwegs waren. Wir
haben mit Menschen aus vielen Ländern und aus unterschiedlichen Kulturen Brot
gegessen und Wein getrunken, mit ihnen aber auch unsere täglichen Mühsale
geteilt. Wir haben mit ihnen gelacht und wir haben mit ihnen am Abend in den
Kirchen gebetet. Wir haben uns die Hände gereicht und nie fiel ein böses Wort.
    Aber jetzt
sind wir angekommen und stehen auf der Plaza do Obradoiro, einem der schönsten
Plätze der Welt. Über uns erheben sich, majestätisch zwar, aber auch von fast
schon überirdischer Harmonie, die beiden Türme und die Fassade des Hauptportals
der Kathedrale von Santiago de Compostela. Dennoch falle ich nicht in einen
Freudentaumel. Meine Seele, meine Gefühle sind noch weit weg von hier, sind
noch draußen auf dem Weg, haben langsamere Beine als mein Körper. Wir steigen
nach einiger Zeit die breiten Stufen zum Hauptportal der im 17. Jahrhundert
errichteten doppelläufigen Treppe hinauf und stehen, das Eingangstor schon
hinter uns, vor dem weltberühmten Pórtico de la Gloria, sicherlich das
romanische Juwel der Kirche schlechthin. Hier, in diesem „Säulenhof der
Glorie“, steht auch die berühmte Marmorsäule, in der man einen tiefen
Handeindruck erkennen kann. Millionen von Pilgern und Wallfahrern haben an
dieser Stelle über die Jahrhunderte hinweg ihre Hand aufgedrückt und so ist
diese Vertiefung im Stein wie ein kollektives menschliches Siegel entstanden.
Dann betreten wir das romanische Langhaus, gehen mit unseren Rucksäcken und
Pilgerstöcken langsam nach vorne unter das riesige Kuppelgewölbe, wo sich
Längsschiff und Querschiff begegnen und wo sich auch, schon in den Chorumgang
hineingeschoben, der Altarraum befindet. Dort, an erhabener Stelle und von
einem barocken Silbergehäuse umgeben, sitzt unser Heiliger, unser Pilgerbruder,
reich verziert mit Gold und Silber und edlen Steinen, auf einem silbernen Thron.
So ganz wohl scheint er sich in diesem Zierrat allerdings nicht zu fühlen, das
sieht man ihm an. Er hat einen kräftigen Bauernkopf, seine vollen Lippen sind
von einem dichten Bart umwachsen, seine Augen wirken klug und wach. Weil seine
Augenbrauen etwas erhoben sind, sprechen aus seinem Gesicht milde, gütige
Ironie und ein leichtes Erstauntsein: Seid ihr wirklich wegen mir so weit
gelaufen? Seht mal, was die mir für Gewänder umgehangen haben und dabei bin ich
doch einer von euch. Aber jetzt setzt euch zu mir, ihr werdet müde sein. Wir
wollen etwas plaudern und ihr müsst mir von eurer Reise erzählen. Berühren
lässt er sich übrigens auch. Dazu muss man allerdings in den Chorumgang
hineingehen und von dort über eine Treppe zu ihm hinaufsteigen. Hier kann man sich
bei ihm mit einer Umarmung für seinen Schutz auf dem langen Pilgerweg
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