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Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
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Monique aus Lyon
fehlt jede Spur, genauso von Grace, die mit dem Pilgerrucksack durch den
Ärmelkanal geschwommen sein soll und eigentlich mit Wasser vertraut sein
müsste. Jeanette, „ma chère Jeanette“, wie der verliebte Mönch immer zu ihr
sagte, haben wir das letzte Mal in Jatos Herberge in Villafranca gesehen. Dort
saß sie mit Zahnschmerzen und einer dicken Backe und wollte auf Grace warten,
weil die in irgendeiner indischen Heilkunst erfahren sei und die Sache mit der
dicken Backe schon richten würde. Gegen 9 Uhr brechen Tobias, Heinz und ich
auf. Zwar regnet es unvermindert weiter, aber wir haben nur noch zwei
Tagesmärsche bis Santiago und allein schon dieses Zauberwort zieht uns jetzt
aus der trockenen Herberge wie ein Magnet den Nagel aus dem Heuhaufen. Nass
wird man ohnehin werden, das kann auch noch Wochen lang so weitergehen.
    So wandern
wir wieder über das gewohnte, allmählich sanfter gewordene Hügelland, aber der
pausenlose Regen aus dunklen Wolken legt sich heute wie ein Grauschleier über
das sonst so frische, grüne Galicien. Ich stelle mir vor, wie schön das alles
sein könnte, wenn es nur trocken wäre und wenigstens gelegentlich ein
Sonnenstrahl zu uns durchdringen würde.

    Schon bald
hinter Palas de Rei führt uns die Markierung wieder über die alten
Trampelpfade. Sie sind teilweise mit Steinplatten ausgelegt, haben sich aber jetzt
in kleine Bäche verwandelt und das Wasser läuft ungehindert ins Innere unserer
Schuhe. Der Regen legt heute überhaupt keine Pause ein, prasselt ununterbrochen
auf uns herunter. Nach einiger Zeit sickert trotz des Regencapes das Wasser vom
Hals aus langsam am Körper abwärts und von den Beinen aus langsam aufwärts, die
beiden gegenläufigen Sickermassen verschmelzen irgendwo in der Mitte, reichem
sich im Bauchbereich an und nur ihre Überschüsse tropfen irgendwie wieder ab.
Etwas schwerer werden wir drei wandernden Schwämme schon, aber wir sind
inzwischen auch gut durchtrainiert, haben Wölfen und Geiern getrotzt, Bären
vertrieben und nicht einmal der unsichtbare Höllenhund von gestern wollte vor
unser Antlitz treten. Sollten wir jetzt wie Angsthasen vor dem bisschen Regen
davonlaufen? Und wohin, wenn wir es denn wollten?
    „Wir haben
es eigentlich sehr gut, dass wir nicht auch noch durch Blitz und Donner laufen
müssen“ meint Heinz, während er stehen bleibt und uns anlacht.
    „Da hast du
recht“ erwidere ich, „und auch besser als Grace, die durch den Ärmelkanal
schwimmen musste.“
    Wir patschen
weiter durch die Nässe. Bloß nicht für längere Zeit stehen bleiben, sonst kühlt
man schnell ab. So können wir heute auch keine Rast einlegen und es wird auch
keine Besichtigung von alten Kirchen oder was auch immer geben. Wie gut, dass
hier auf dieser Etappe des Camino keine Kunstwerke von überragender Bedeutung
stehen, sich wohl schon alles auf Santiago konzentriert.
    In Arzúa, unserem
heutigen Etappenziel, laufen wir, es ist inzwischen Nachmittag und wir sind
schweigsam geworden, durch die langgezogene Hauptstraße und kaufen Wein und
Lebensmittel ein, vor allem aber auch dicke Zeitungen. Wir werden sie brauchen,
um unsere durchgeweichten Schuhe auszustopfen. Dann gehen wir die Straße
weiter, die Herberge liegt am anderen Ende des Städtchens. Dort sind wir heute
die ersten eintreffenden Pilger, Antonio ist wohl weitergelaufen, er muss vor
uns hier gewesen sein. Die große Herberge steht offen, aber wir treffen hier
niemanden an. Das ist auch nicht nötig, wir kennen längst die Rituale und
unseren Pilgerpass können wir auch alleine abstempeln. Im Inneren gibt es einen
riesigen Saal, ein Stockbett steht am andern, so viele, dass es heute mit
Sicherheit keine Engpässe geben wird. Aber wenn dieser Saal mit seinen
vielleicht 80 Betten einmal voll belegt sein sollte, was sicher auch vorkommt,
mein Gott, da wird in dieser ehemaligen Musikschule nachts wieder ein Reigen
schöner Klänge ertönen, aber kein träumerisches Nocturno, nein, da wird es
„concerto grosso“ geben. Unser Problem sind allerdings die nassen Kleider. Weil
es unverdrossen weiterregnet, wir also draußen nichts aufhängen können, müssen
die freien Betten als Wäscheständer herhalten. Wirklich trocken wird auf diese
Weise nichts werden, allenfalls unsere Trekkinghosen. Leider ist auch unsere
Wäsche im Rucksack zumindest noch feucht von gestern und unangenehm klebrig. So
werden unsere im Übersack trocken gebliebenen Schlafsäcke wohl zum letzten
Zufluchtsort
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