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Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Titel: Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
Autoren: Robert Pragst
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Brandenburger Tor und siebenundzwanzig Meter breit. Auf zwölf gewaltigen Pfeilern ruhen die Gewölbe des Mittelteils und der Seitenschiffe. Der Bauleiter und königliche Baurat Carl Vohl beschrieb 1908 die Mittelhalle als den »vornehmsten Bau des Gebäudes«. Die Umgänge sind mit Skulpturen verziert, welche die »Religion«, »Gerechtigkeit«, »Streitsucht«, »Friedfertigkeit«, »Lüge« und »Wahrheit« symbolisieren. Die »Lüge« zischt mit vorgehaltener Hand und Fuchskopf zur »Streitsucht« hinüber, aus deren Kopf kiefersperrende Schlangen wachsen.
    Staunend und ganz klein tappte ich in die Halle mit den vielen Gängen und überlegte, wie ich das Personalbüro, Zimmer 424, finden könnte. Es dauerte zwanzig Minuten, weil ich mich schämte, immer wieder Passanten nach dem Weg zu fragen, und stattdessen auf Lageskizzen an den Wänden zurückgriff. Im Grunde kann man das Problem so beschreiben: Das Kriminalgericht hat drei bzw. vier (was den Saalbau betrifft) Etagen, die über siebzehn teilweise versteckte Treppen bzw. Treppenhäuser zu erreichen sind. Drei |22| Längsgänge, die man sich merken muss, führen wie Hauptschlagadern von Ost nach West. Allerdings durchkreuzen fünf bis sechs Quergänge jede Etage. Und am Übergang zum Saalbau gibt es Zwischenetagen. Auch die Raumnummerierungen helfen nicht wirklich weiter, da die erste Ziffer keinen Hinweis auf die Etage enthält. Geht man beispielsweise in der Mittelhalle in den zweiten Stock, so findet man linker Hand nicht etwa Raum 221, sondern 521.   Folgt man dem Gang, etwa um Raum 530 zu suchen, so stellt man fest, dass an Raum 529 die 545 anschließt. Jetzt darf man nicht verharren und auf eine Eingebung hoffen, wo das »verschwundene Zimmer« sein könnte. Richtig ist, bis 526 zurückzugehen und dort in einen Seitengang zu biegen, wo nach zehn Metern eine Tür mit der Nummer 530 kommt.
    Bereits bei der Eröffnung des Kriminalgerichts schrieb die ›Norddeutsche Allgemeine Zeitung‹ im April 1906 fassungslos: »Um sich in dem Labyrinth von Korridoren, Treppen und Seitengängen zurechtzufinden, wird es eines längeren Studiums bedürfen.« Um die Verwirrung perfekt zu machen, baute man in der Folgezeit fleißig an. So entstand Ende der fünfziger Jahre der erste Erweiterungsbau ( C-Bau ) und 1962 der zweite ( D-Bau ). Ende der sechziger Jahre wurde an der Rückseite des Altbaus ein dritter Erweiterungsbau fertiggestellt, 1980 der vierte ( E-Bau ), und 1991 konnte schließlich der fünfte Erweiterungsbau ( B-Bau ) eingeweiht werden.
    So war es also 9.20   Uhr (zwanzig Minuten Verspätung), als ich die Tür zum Personalbüro öffnete.
     
    Zwei Damen begrüßten mich freundlich und baten mich, Platz zu nehmen. Sie stellten zwei dicke Aktenordner auf |23| den Tisch und wiesen mich darauf hin, dass zunächst diese allgemeinen Dienstanweisungen durchzulesen und jede einzelne durch Unterschrift zu quittieren sei. Schon nach den ersten Seiten merkte ich, dass es sich teilweise um sehr alte Vorgaben zu Verhalten bei Feueralarm etc. handelte und ich ungefähr einen Tag brauchen würde, um dies alles genau durchzulesen. Ich versuchte mich deshalb überblicksartig durchzukämpfen und erklärte nach eineinhalb Stunden, dass ich fertig sei. Später hörte ich, es gebe eine Dienstanweisung, wonach Alkohol »nur in Maßen« erlaubt sei. Gesehen habe ich sie aber nicht.
    Die Damen beschrieben mir, welches Zimmer für mich vorgesehen war, und nannten mir die Raumnummer des für mich zuständigen Oberstaatsanwalts, bei dem ich mich gleich melden sollte.
    Jede Abteilung bestand aus etwa sechs bis acht Staatsanwälten, hatte einen Gruppenleiter und einen Oberstaatsanwalt als Abteilungsleiter. Meist waren sechs Abteilungen unter der Führung eines Hauptabteilungsleiters zusammengefasst, der wiederum dem Behördenleiter unterstand. Da die Staatsanwaltschaft Berlin so groß ist, trug er zu meiner Zeit sogar die Bezeichnung Generalstaatsanwalt. Den einzelnen Abteilungen waren unterschiedliche Aufgaben zugewiesen. Für Delikte wie Brandstiftung, organisierte Kriminalität, Jugendkriminalität, Drogen, Sexualdelikte, Staatsschutz, Tötungsdelikte oder Ähnliches waren Spezialabteilungen zuständig. Alle anderen Fälle kamen in die sogenannten Buchstabenabteilungen. Solch einer wurde ich zugeteilt. Meine Abteilung war für die Buchstaben Ce bis Do zuständig. Hieß der in Berlin wohnhafte Beschuldigte also Dorn und waren ihm keine Spezialdelikte, sondern |24| »nur« allgemeine
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