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Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Titel: Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
Autoren: Robert Pragst
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Fassungslos starrte ich auf das Gebirge. Anna lachte und hatte ihren Spaß: »Mach dir nichts draus. Das geht mir genauso. Ich bin schon ein Dreivierteljahr hier und habe auch solche Stapel. Ich komme morgens um acht und bleibe bis abends um acht. Trotzdem werde ich nicht richtig fertig. Wie die anderen das schaffen, ist mir ein Rätsel.«
     
    Am späten Nachmittag konnte ich Jens meine Vorschläge für einen Teil der Akten präsentieren. Nicht einer passte. Hier fehlte das, da war es die falsche Verfügung, beim nächsten waren die Formalien nicht eingehalten und so weiter. Ich begann mir Musterverfügungen von Jens als Standards |27| anzulegen und versuchte seine Anordnungen umzusetzen. Um 21   Uhr schlich ich durch die nun dunkle und menschenleere Mittelhalle zum Ausgang. Ich war völlig fertig von meinem ersten Arbeitstag. Nicht eine Ermittlungsakte von mir hatte es – mit Gegenzeichnung von Jens – zurück zur Geschäftsstelle geschafft. Das musste morgen anders werden, denn da war bereits der nächste Aktenstapel zu erwarten. Wenn ich nicht aufpasste, konnte sonst leicht ein Hochgebirge entstehen.

|28|
Sinans Sündenregister
    S inan H. fluchte leise. Der Überfall war völlig aus dem Ruder gelaufen. Eigentlich sollten sich die Ladenbesitzer, von der Pistolenattrappe eingeschüchtert, auf den Boden legen und mit Klebeband gefesselt werden. Dann hätten sie sich in Ruhe das Geld aus der Kasse und den Portmonees nehmen können. Bestimmt hätte er auch noch die PIN der E C-Karte des Pärchens in Erfahrung bringen können. Er hatte da schließlich so seine Methoden. Dass die Leute immer gleich so hysterisch werden mussten! Die beiden hatten sich von Anfang an gewehrt und geschrien, als würden sie die Bedrohung durch die Pistolen gar nicht registrieren.
    Genau wie damals bei dem Banküberfall, als sie ihn erwischt hatten. Die beiden Frauen am Schalter reagierten überhaupt nicht auf Befehle, obwohl ihnen Pistolen vor den Kopf gehalten wurden. Die eine war zusammengesackt und zitterte am ganzen Körper. Die andere schrie die ganze Bank zusammen und rannte wie wild hin und her. Erst ein kräftiger Faustschlag ins Gesicht brachte sie zur Ruhe. Die beiden waren so wenig ansprechbar wie der völlig bleiche Filialleiter, der sogar in die Hose uriniert hatte. Was für ein Waschlappen! Irgendjemand musste jedoch die Polizei alarmiert haben. Vielleicht hatte jemand zu Beginn des Überfalls schnell einen geheimen Knopf gedrückt. Mit ihrer Beute schafften sie vielleicht noch hundert Meter. Dann |29| war alles vorbei. Sie kamen in Untersuchungshaft. Es wurden Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht, Sinan musste in ein Behältnis spucken und wurde dem Untersuchungsrichter vorgeführt.
    Nach vier Monaten begann der Prozess. Er hatte richtige Angst. Die Zeugen weinten und erzählten, wie schlimm alles gewesen sei. Eine der Angestellten konnte wohl wegen psychischer Probleme nicht mehr weiterarbeiten. Psychische Probleme? Hatte ihn mal jemand gefragt, was er in seiner Kindheit in Algerien hatte ausstehen müssen? Als man seinen Vater ohne Gerichtsprozess in ein Internierungslager in der südalgerischen Wüste steckte, aus dem er nie zurückkam. Wo er als ältestes von vier Geschwistern mit zehn Jahren irgendwie Geld verdienen musste, damit seine Familie nicht verhungerte? Am Ende war er mit der Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren gar nicht unzufrieden. Zu Hause in Algerien hätten sie ihn länger eingesperrt. Es kam sogar noch besser. Keine zwei Jahre nach der Tat wurde er ins Flugzeug nach Algerien gesetzt. Warum das so war, verstand er nicht. Vielleicht zählten in Deutschland die Jahre im Gefängnis anders als draußen. Knapp vier Wochen später hatte er es mit gefälschten Papieren wieder nach Deutschland geschafft und war gleich wieder bei einem Raubüberfall in Chemnitz mit dabei. In den drei Monaten seitdem hatte er bereits ein ganz hübsches Sümmchen angespart. In Deutschland vielleicht nicht besonders viel Geld, in Algerien aber schon ein kleines Vermögen. Wenn er noch zwei oder drei Jahre weitermachte, konnte er sich in Algerien zur Ruhe setzen. Er wollte ein Haus kaufen und mit seinem Schwager eine kleine Kfz-Werkstatt aufmachen. In Algerien konnte man ohne Startkapital nichts werden. Ohne Geld |30| war man ein Niemand. Ein kleines Stück vom Reichtum stand ihm jedenfalls zu.
    Diesmal waren es leider nur 1500   Euro, die durch vier zu teilen waren. Egal, schon in wenigen Tagen stand die nächste Sache
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