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Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Titel: Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
Autoren: Robert Pragst
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Wie sonst sollten zum Beispiel Staatsanwälte, die jahrelang ausschließlich für Vergewaltigung und Kindesmissbrauch zuständig waren, mit ihren Erlebnissen klarkommen? Wie könnten sonst Ärzte ihre Arbeit auf einer Krebsstation für Kinder bewältigen?
    Noch ein paar Jahre bei der Staatsanwaltschaft und ich würde den Fall der Erika L. ähnlich wie der Beisitzer erleben. Als nicht besonders schlimm, eben nur ein Fall unter vielen. Die Stoiker im alten Athen hätten das als lobenswerten Schritt auf dem Weg zur inneren Unabhängigkeit angesehen. Aber ich sah nichts Erstrebenswertes darin, genauso wie die meisten Staatsanwälte und Strafrichter es sicher nur als notwendige Folge ihrer Arbeit betrachteten.
     
    Als ich in mein Zimmer zurückging, war es schon später Nachmittag und die riesige Haupthalle lag bereits im Halbdunkel. Sie war fast genauso menschenleer wie der Zuschauerraum des Sitzungssaales während der Verhandlung des Raubfalles. Die Staatsanwaltschaft würde mit der Höhe der Strafe gut leben können, überlegte ich, und entschied, keine Revision gegen das Urteil anzuregen. Zwei oder drei Jahre Freiheitsstrafe mehr oder weniger für Sinan H. – brachte das etwas Entscheidendes? Ich bezweifelte es. Jedenfalls nicht für Erika L.   Die Frage stellte sich, ob sie die |229| Höhe der Strafe oder die Strafe als solche überhaupt interessierte. Das war schwer zu beurteilen. Mehr als einen Mosaikstein in der Verarbeitung des Überfalls konnte das Urteil eigentlich nicht darstellen.
    Ich rief Kriminaloberkommissar Konrad an. Ich hatte ihm versprochen, ihn über den Ausgang des Falles zu informieren. Mit der Strafe schien er zufrieden, zeigte sich aber enttäuscht, dass der Angeklagte die Namen der Mittäter nicht preisgegeben hatte. Ich konnte das verstehen, denn dort lag sicherlich der Schlüssel für die Aufklärung vieler weiterer Raubüberfälle.

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Abschied in der Mittelhalle
    W enig später befand ich mich auf dem Weg zum Ausgang im Hauptportal des Kriminalgerichts, stieg die breite Treppe der Mittelhalle hinunter. Durch die Notbeleuchtung waren die Umrisse der Halle nur unscharf zu erkennen. Andere Personen waren nicht mehr unterwegs. Es war still. Das dicke Mauerwerk der riesigen Mittelhalle schwieg mich an. Die Mauern hatten alles mitbekommen und so viel mehr an Elend und Verzweiflung in den hundert Jahren ihres Bestehens. Gut, dass sie stumm blieben. Es war wahrscheinlich mehr, als ein Mensch ertragen konnte. In dem einen Jahr als Staatsanwalt hatte ich eine Ahnung von der Dimension menschlicher Abgründe erhalten.
     
    Ich habe nie erfahren, ob Sinan H. sich doch noch dazu entschlossen hat, weitere Namen zu nennen, und ob Erika L. der Blick in sein Gesicht geholfen hat, ihren Kampf gegen die maskierten Täter endlich zu beenden. Ich denke oft an mein Jahr als Staatsanwalt zurück. Die Ausbildungsphase, die man als Neuling bei der Staatsanwaltschaft zu absolvieren hat, ist sicherlich nicht einfach. Harte Zeiten. Aber bei all den Problemen fühlte ich mich nie allein in der eingeschworenen Gemeinde unserer Abteilung, unter den Fittichen von Oberstaatsanwalt Berndt. Die schlimmen Gerüchte, die es vorab gegeben hatte, konnte ich jedenfalls nicht bestätigen. |231| Mein Kollege, mit dem ich vor unserer gemeinsamen Abordnung zur Staatsanwaltschaft diesen düsteren Schicksalsschlag beklagte, bat übrigens darum, bei der Staatsanwaltschaft bleiben zu dürfen, und bekämpft heute insbesondere die Strukturen organisierter Kriminalität.

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Schlusswort
    O b aus meinen Schilderungen ein gutes oder spannendes Buch geworden ist, mögen andere beurteilen. Wenn die besten Geschichten das Leben selbst schreibt, so hat dieses Buch zumindest eines für sich. Alle Fälle und Begebenheiten haben sich so ereignet. Lediglich Namen und Tatorte wurden verändert.
    Soweit es um das geschilderte Innenleben des (Serien-)Täters, um seine Dialoge mit Zellennachbarn und Ermittlungspersonen geht, war ich um eine nahe liegende Interpretation bemüht, was auch für die Einstellungen der beteiligten Kriminalbeamten gilt, soweit sich dies nicht aus dem jeweiligen Akteninhalt, den Hauptverhandlungsterminen oder persönlichen Gesprächen ergab.

Informationen zum Buch
    Jung ist Robert Pragst und reichlich unerfahren, als er im Rahmen seiner Ausbildung zur Staatsanwaltschaft Berlin kommt. Diese Abordnung freut ihn nicht wirklich. Er muss sich in dem riesigen Apparat erst einmal zurechtfinden, und das Dasein ist alles andere
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