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Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Titel: Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
Autoren: Robert Pragst
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ich sogar einen Kollegen, der über ein »Zauberregal« verfügte. Das lief dann so ab: Ich schilderte ihm einen Fall (über dem ich schon eineinhalb Stunden in der Bibliothek mit Gesetzeskommentaren und Urteilen verschiedener Gerichte gebrütet hatte). Der Kollege sagte knapp: »Ja, ich weiß schon.« Dann holte er die Kopie einer Entscheidung oder Kommentarstelle aus einem der zahlreichen Aktenordner des »Zauberregals«. Er erklärte mir kurz die Lösung und gab mir die Kopie mit, die immer genau auf mein Problem zutraf. Dauer des Gesprächs: zwei Minuten. Man kann sich sicher vorstellen, wie schwer es mir fiel, ihn mit einem Problem mal nicht zu belästigen und stattdessen stundenlang in der Bibliothek zu suchen. Zumal der Mann jeden Tag von früh bis spät im Gericht war und stets freundlich auf Fragen reagierte. Da vor Ort aber mehrere Proberichter tätig waren, musste ich mich zügeln. Manchmal gab es in seinem Zimmer sogar einen kleinen Stau. Man wartete dann geduldig die Frage des Vordermanns ab (und lernte gleich etwas für den potenziellen nächsten Fall).
    Mit dieser Tätigkeit am Amtsgericht war ich sehr zufrieden. Ich genoss die Freiheit, meine Entscheidungen selbstständig zu treffen und mir die Arbeitszeit einteilen zu |16| können. Einer Abordnung zur Staatsanwaltschaft stand ich daher eher ablehnend gegenüber. Es konnte eigentlich nur schlechter werden, oder? Dort war man in eine streng hierarchische Behördenstruktur eingebunden und hatte eine Unmenge von Dienstanweisungen, Richtlinien und Ähnlichem zu beachten. Hinzu kam, dass es bedrohliche Gerüchte über Proberichter gab, die mit der Fülle der zu bearbeitenden Akten nicht klarkamen, obwohl sie von früh bis spätabends arbeiteten. Über Proberichter mit Weinkrämpfen und diabolische Oberstaatsanwälte, die diese quälten (ich muss allerdings hinzufügen, dass die Gerüchte meist von Kollegen kamen, die selbst noch gar nicht bei der Staatsanwaltschaft gewesen waren).
    Ich hatte den Abordnungsbrief gerade weggelegt, als mich auch schon ein Kollege, gleichfalls Proberichter, in meinem Zimmer aufsuchte. Ihn hatte dasselbe Schicksal ereilt. Gemeinsam ergingen wir uns noch eine Viertelstunde in düsteren Vorahnungen, wie es denn bei der Staatsanwaltschaft Berlin werden würde (Riesensauerei so kurz vor Weihnachten, wir kommen da nie wieder weg usw.).
    Die anstehende staatsanwaltschaftliche Tätigkeit machte auch in meinem Freundeskreis die Runde. Eine Freundin kam begeistert auf mich zu und meinte, ich müsse ja ein richtiger Fuchs sein. Ein cleverer und mit allen Wassern gewaschener Ermittler oder so. Bei vielen hatte ich aber den Eindruck, dass sie irgendwie wortkarg wurden und meinem Blick auswichen. Das kam mir jetzt wiederum verdächtig vor. Hatten sie etwas zu verbergen? Erschrocken fragte ich mich gleich darauf, ob Staatsanwälte einsame Menschen sind. Die letzten Tage vor dem Abordnungstermin verbrachte ich mit leichtem Bauchgrummeln.

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Der Tag danach
    F ür Erika und Werner L. wurde es nach dem Überfall noch eine lange Nacht. Zuerst brachte man sie mit einem Rettungswagen in das nächste Krankenhaus. Glücklicherweise waren die Verletzungen weniger schlimm, als sie befürchtet hatten. Erika L. hatte von der zerstörten Brille Schnittwunden rund um das Auge erlitten. Das Auge selbst war jedoch, wie durch ein Wunder, nicht durch Glassplitter verletzt worden. Werner L. hatte an der Stirn eine Platzwunde, die stark geblutet hatte. Die meisten Schmerzen verspürte er jedoch im Mund. Zwei Zähne waren abgebrochen, die Splitter steckten im Zahnfleisch.
    Als sie wieder zum Laden kamen und die Morgendämmerung bereits einsetzte, waren die Beamten von der Spurensicherung schon an der Arbeit. Polizisten des Raubdezernats nahmen ihre Aussagen auf. Aufschlussreiche Einzelheiten konnten die beiden leider nicht berichten. Zwar hatten zwei der Täter im Hausflur ihre Masken zurückgelassen, doch konnten sie sich nicht an Gesichter erinnern. Erika und Werner L. versuchten den Überfall in Gedanken noch einmal ablaufen zu lassen. Es tauchten jedoch keine Gesichtszüge, sondern immer nur die schwarzen Masken auf. Begleitet von Beklemmung und Schrecken. Der Laden war auch ein Stück Zuhause gewesen, und jetzt fühlten sie sich wehrlos und ausgeliefert.
    |18| Die Polizisten von der Spurensicherung fanden keine Fingerabdrücke. Die Täter hatten Handschuhe getragen. Sie meinten aber, dass vielleicht mit den drei Masken (den beiden aus dem Flur und der
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