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Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Titel: Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
Autoren: Anis Mohamed Youssef Ferchichi , Marcus Staiger
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Letzte ist, was ich tue, dass ich es benutzen werde.« Zwölf Stunden lang stand sie dann mit mir auf dem Arm und dem Messer in der Hand da und hat sich nicht aus der Küche herausgetraut. Der große Bruder meines Vaters lenkte schließlich ein, weil er gemerkt hat, dass es meiner Mutter wirklich ernst war. Er überzeugte meinen Vater davon, dass man so etwas eben nicht erzwingen kann, und mein Vater gab irgendwann auf.
    Er ist dann nach Düsseldorf abgehauen, aber in der Folgezeit hat meine Mutter mich nicht mehr aus den Augen gelassen. Oft durfte ich nicht raus, weil meine Mutter schlecht geträumt oder ein schlechtes Gefühl hatte. Sie hatte permanent Angst, dass mein Vater kommen und mich entführen würde. Vielleicht haben wir auch deswegen ein so enges Verhältnis, meine Mutter und ich. Einmal stand er auch tatsächlich an der U-Bahn. Meine Mutter hat gesehen, wie er dort gewartet hat, und daraufhin wurde sie noch strenger mit mir und hat mich noch weniger aus den Augen gelassen.
    Meine Mutter hat sich mit den verschiedensten Jobs über Wasser gehalten und ich musste oft mitgehen und ihr helfen. So habe ich mir mein Taschengeld verdient. Irgendwann hat sie dann meinen Stiefvater kennengelernt, den Vater meines Bruders. Mein Stiefvater ist Türke und wohnte neben uns in der Nachbarwohnung in der Yorckstraße, und als die beiden anfingen, sich zu treffen, und da diese Liebesgeschichte daraus wurde – das hat mir überhaupt nicht gepasst. Er ist dann trotzdem bei uns eingezogen, da hatte meine Mutter aber den nächsten Stress am Hals. Mein Stiefvater wurde nämlich von der Ausländerpolizei gesucht, die ihn abschieben wollte. Er war als Student nach Deutschland gekommen und seine Aufenthaltserlaubnis war abgelaufen, deshalb musste meine Mutter, kaum dass sie von meinem Vater geschieden war, schon wieder heiraten.
    Der Stress mit der Ausländerbehörde legte sich dadurch und wir sind zusammen in die Hobrechtstraße gezogen, wo mein Bruder geboren wurde. Mein Stiefvater hat bei Hoechst gearbeitet und irgendwann sind wir wegen der Arbeit nach Bad Soden gezogen, in den Main-Taunus-Kreis. Das ist aber eine Geschichte, die an einer anderen Stelle erzählt wird. Und letztendlich sind wir auch wieder nach Berlin zurückgekommen.
    Mein Stiefvater hatte nach unserer Rückkehr ein Verhältnis mit einer anderen Frau, weswegen es auch in dieser Ehe schwierig wurde. Mein Stiefvater erklärte meiner Mutter zwar, dass die Muslime das eben tun dürften. Meine Mutter war den Ausländern gegenüber ja immer sehr aufgeschlossen gewesen und sie hatte auch gar kein Problem damit, sich in ihren Gewohnheiten an ausländische Sitten und Gebräuche anzupassen, aber das ging ihr dann doch zu weit. »Schön, dass die Muslime das tun dürfen«, hat sie meinem Stiefvater gesagt, »aber mit mir nicht.«
    Ehrlich gesagt, war ich gar nicht so unglücklich darüber, dass die sich getrennt haben, denn von da an war ich ein bisschen der Herr im Haus, und diese Rolle habe ich sehr genossen. Aus heutiger Sicht denke ich, dass diese Art der multikulturellen Patchworkfamilie schon große Herausforderungen an jeden Einzelnen von uns gestellt hat und dass wir vielleicht Hilfe gebraucht hätten oder zumindest Betreuung. Aber daran hat keiner gedacht, vielleicht gab es das zu der damaligen Zeit auch nicht so wie heute. Auf jeden Fall setzte sich bei meiner Mutter wieder der Unabhängigkeitsgedanke durch, schließlich war sie eine starke Frau, die sich nach den Erlebnissen bei ihren Eltern nie wieder unterdrücken lassen wollte und das auch rigoros durchgezogen hat. Darauf bin ich stolz und so trennte sie sich eben auch vom Vater meines Bruders.
    Mit meinen Großeltern, den Eltern meiner Mutter, habe ich zu der Zeit wenig Kontakt gehabt. Opa war der einzig Korrekte, hatte aber halt keine Möglichkeit, sich auszuleben. Der musste sich verstecken. Trotzdem war er mein Lieblingsopa. Wenn ich dort war, sind wir immer zusammen in die Weinberge gegangen. Meine Mutter hat ihm jedes Mal Zigaretten mitgebracht aus dem Intershop, die hat ihm Oma dann weggenommen. Sie hat die Geschenke gefilzt, und wenn sie Zigaretten fand, hat sie die vernichtet, weil sie nicht wollte, dass Opa raucht.
    Ich hatte wirklich wenig bis gar keinen Kontakt zu ihm, und das war auch nicht erwünscht, selbst wenn meine Oma heute das Gegenteil behauptet. Meine Mutter sagt, dass mein Opa mich schon gerne öfter gesehen hätte, und er war auch der Einzige, der mir je gezeigt hat, dass er mich
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