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Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Titel: Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
Autoren: Anis Mohamed Youssef Ferchichi , Marcus Staiger
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er ist, und ich muss damit leben, wie ich bin und was ich denke.
    Als ich irgendwann einmal in einem Spielzeugladen stand und für tausend Euro Lego gekauft habe, ging ein kleiner Junge an mir vorbei und zeigte auf den Star-Wars -Todesstern, den es von Lego gibt. »Oh«, sagte der kleine Junge, »ich würde gern mal wissen, was der so kostet«, worauf seine Mutter zu ihm meinte: »Komm, wir gehen raus. Das braucht dich gar nicht zu interessieren.« Ich weiß, viele Eltern können ihren Kindern keinen Todesstern kaufen, andere wiederum könnten den kompletten Todesstern original nachbauen lassen. Ich bin sehr froh darüber, dass ich es tun könnte, und ich bin sehr froh über das Leben, das ich führen darf, aber dieser Kurier, mein alter Kumpel aus der Hobrechtstraße, ist auf jeden Fall besser als ich. Ich glaube, er hat mir den Erfolg sogar gegönnt, und ich muss zugeben, dass ich mit Absicht ein bisschen so getan habe, als könnte ich mich nicht richtig an ihn erinnern. Aber ich hatte einfach keine Lust, so viel Small Talk zu halten, und irgendwann meinte ich dann auch, dass ich wieder reinmüsse. Vielleicht bin ich ja tatsächlich ein bisschen mehr zum Arschloch geworden durch dieses ganze Zeug, das ich so mache, und das viele Geld, das ich habe, und trotzdem möchte ich nicht, dass es anders ist.
    In der Hobrechtstraße haben wir zuerst in der Hausnummer 22 gewohnt, mehr zur Sonnenallee hin. Mein bester Freund Mehmet hat am Maybachufer gelebt, das am anderen Ende der Straße lag. Bei Mehmet zu Hause haben uns immer seine Brüder »therapiert«. Die waren älter als wir und wir sind denen mächtig auf die Nerven gegangen, weswegen sie uns immer verprügelt haben. Manchmal haben sie auch ohne Grund zugeschlagen. Einfach so.
    Wenn ich zu Mehmet gegangen bin, musste ich am Spielplatz in der Pflügerstraße vorbei, der ungefähr auf der Mitte des Weges lag. Dort gab es einen Jungen, der schon etwas älter war als wir und Tobias hieß. Tobias hatte einen Schäferhund und verbrachte seine Zeit damit, Böller in Hundekacke zu stecken und diese dann in die Luft zu sprengen. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass der nicht ganz normal oder zumindest auffällig war. Tobias war schon 15, hing aber trotzdem mit uns Zehnjährigen rum und hat uns auch immer geschlagen. Normalerweise hätte er dafür von Mehmets Brüdern auf die Fresse kriegen müssen, aber die älteren Ausländerjungs haben sich nicht an den rangetraut, weil er diesen Schäferhund dabeihatte. Tobias hat seinen Hund auch mit der Hand befriedigt. Der Hund hat dann abgespritzt und noch heute sehe ich diese Bilder, wie der Hund einen Buckel macht und ganz komisch hin und her hüpft. Das war wirklich ekelhaft und hat sich so tief in mein Gedächtnis eingegraben, dass ich heute noch keinen Schäferhund anschauen kann, ohne daran denken zu müssen.
    Tobias hatte beim Fußball einen unheimlich harten Schuss drauf, und wenn wir auf dem Bolzplatz waren, hat er uns immer abgeschossen. »Abschrummen« nannte man das.
    Auf dem Spielplatz in der Pflügerstraße habe ich auch einmal meinen Bruder verloren, als ich nicht richtig aufgepasst habe. Wenn meine Mutter arbeiten war, musste ich immer babysitten. Mama hat sauber gemacht in der Stadtbücherei Kreuzberg, und wenn sie weg war, habe ich bei meinem Bruder die Windeln gewechselt, ihm zu essen gegeben, mit ihm gespielt oder bin mit ihm raus. Auf jeden Fall war ich auf diesem Spielplatz, mein Bruder war etwa drei Jahre alt und ich habe ihn aus den Augen verloren. Der Kleine ist dann allein nach Hause gegangen und ich habe den Schock fürs Leben bekommen. Mein Bruder war weg. Wir haben ihn überall gesucht und irgendwann kam Mama und hatte ihn auf dem Arm. Da hat es Ärger gegeben, aber so richtig Ärger.
    Weiter oben in der Hobrechtstraße musste man an einem Haus vorbei, in dem arabische Mädchen wohnten, die total scheiße waren. Die hatten eine Wohnung im Erdgeschoss und haben die ganze Zeit aus dem Fenster geguckt, und wenn man da vorbeiging, haben sie einen genervt. Das war eine Riesenfamilie. Hat man sich mit denen angelegt, kamen alle Schwestern, Brüder und Cousins, und man hat Schläge bekommen. Waren wir dann endlich bei Mehmet, haben dessen Brüder weitergemacht. So war eben die Hobrechtstraße und dort bin ich aufgewachsen.
    In unserem ganzen Viertel lebten nur Schwarzköpfe. Dort, wo heute unglaublich stylische Latte-Macchiato-Läden und Tapas-Bars mit französisch-amerikanisch-spanischen Bedienungen
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