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Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Titel: Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
Autoren: Anis Mohamed Youssef Ferchichi , Marcus Staiger
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Gesprächsbedarf haben. Nach dem Preisverleihungsdebakel, als die Stern -Geschichte erschien, habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Ich habe über dieses sperrige Wort »Integration« nachgedacht und was es denn genau bedeuten soll. Natürlich kann man mir in diesem Zusammenhang vorwerfen, dass ich ja gar kein richtiger Ausländer bin mit meiner deutschen Mutter, bei der ich die meiste Zeit aufgewachsen bin, aber was will man mir damit sagen? Dass ich nichts dazu sagen darf, weil ich dazu nichts zu sagen hätte? Das denke ich nicht.
    Meine Mutter ist Mitte der 70er-Jahre aufgebrochen aus dem streng katholischen und erzkonservativen Würzburg, hat einen Tunesier geheiratet und mit ihm ein Kind bekommen. Was war das für ein Skandal! Zwanzig Jahre lang hat die Familie meiner Mutter nur das Notwendigste mit uns gesprochen. Kein freundliches Wort. Keine Anrufe. Keine Glückwünsche. Keine Hilfe. »Was will sie denn mit so einem Kameltreiber?«, hieß es und von Integration war weit und breit keine Spur. Das ist noch nicht einmal vierzig Jahre her und das war in diesem Land. Warum sollte ich dann also nicht über Integration sprechen dürfen? Warum soll ich dafür keinen Preis bekommen, wenn ich das alles überwunden habe?
    Nach meiner Geburt in Bonn sind wir nach Berlin gezogen. Zuerst nach Kreuzberg in die Yorckstraße, später nach Neukölln. Hobrechtstraße. Sonnenallee. Ganz in der Nähe liegt die berühmte Rütli-Schule. Ausländerwelt. Wieso soll ich nicht über Integration sprechen dürfen, wenn ich es rausgeschafft habe aus dieser Welt, in der die meisten Menschen die Wahl zwischen Dönerverkäufer und Gemüsehändler haben? Wieso soll ich nicht über Ausländer, Gastarbeiter, Migranten und »Kanaken« sprechen dürfen, wenn ich doch dort aufgewachsen bin und ein Thilo Sarrazin sich dazu äußern darf, obwohl er da nicht aufgewachsen ist und vielleicht auch niemals dort war und diese ganzen Menschen gar nicht kennt? Wieso soll ich keinen Preis dafür bekommen? Nur weil ich nicht studiert habe und noch immer so rede wie die »Kanaken« in Neukölln? Die dummen Kameltreiber, Kümmeltürken, Schwarzköpfe, Kebabfresser und Muruks, die tagtäglich in den Medien vorgeführt werden als ständige Bedrohung, als Problemfälle, als Stachel im Fleisch des biodeutschen Volkes. Die Ausländer! Und wenn ich in diesem Buch von Ausländern rede, dann meine ich genau die. Leute, mit denen man besser nichts zu tun haben will, die Unterschicht. Diejenigen, die immer Probleme machen, die kriminellen Großfamilien, die Intensivstraftäter, um die sich die Schulen und Sozialarbeiter kümmern sollen, von denen man hofft, dass sie irgendwie die Kurve kriegen, die aber bitte schön nicht in den noblen Vororten Häuser kaufen, sondern lieber in ihren Gettos bleiben sollen.
    »Bushido hat ein Haus in Lichterfelde-West. Warum ist Bushido so bürgerlich geworden?«, fragt sich die Presse und unterstellt mir, dass ich zum Spießbürger geworden sei. In Wahrheit sind die zuständigen Zeitungs- und Fernsehredakteure lediglich davon angekotzt, dass sie selbst in solchen Vororten groß geworden sind und dass sie immer schon in dieser Spießerwelt gelebt haben. Und jetzt plötzlich steht der schwulenfeindliche »Kanake« auf der Nachbarterrasse und schlachtet dort wahrscheinlich seine Lämmer. Genau das mache ich und ich genieße jeden Tag eure verstörten Gesichter und freue mich darüber, dass ich hier leben darf in eurem Spießergetto, denn das ist Integration. Das ist echte Integration und deshalb habe ich dafür jeden beschissenen Bambi dieser beschissenen Welt verdient.
    Mit all den Vorwürfen, die nach der missglückten Bambi-Verleihung plötzlich auftauchten, stellte sich mir dann zuletzt auch die Frage, was das eigentlich sein soll, diese Integration. Bin ich jetzt tatsächlich integriert, nur weil ich dieses Haus in Berlin-Lichterfelde habe und in einem deutschen Spießervorort wohne? Ja, bin ich.
    Bin ich integriert, wenn ich aufgrund meines Glaubens, meiner Kultur und meines Männlichkeitsbildes ein gewisses Unbehagen beim Thema Homosexualität spüre? Nein, bin ich nicht, denn das wurde mir ja öffentlich vorgeworfen.
    Ist ein bayerischer Bauer, der aufgrund seines Glaubens, seiner Kultur und seines Männlichkeitsbildes Schwule scheiße findet und seinen Sohn mit der Mistgabel schlagen würde, wenn der sich outen würde, ist so ein Mensch in die deutsche Gesellschaft integriert? Aber ja, denn er ist ja deutschen Blutes.
    Bin ich
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