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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde
Autoren: Robert Tibber
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sich eine frische Schürze um.
    »Man wird mir den Kopf scheren.«
    »Wie bitte?«
    »Meinen Kopf. Sie müssen ihn scheren.«
    »Warum? Hast du mit dem Feind fraternisiert?«
    »Du nimmst mich nicht ernst... oh! mein Kopf!«
    »Siehst du wohl! Lieg still!«
    »Ich kann nicht. Ich kann mich nicht mehr bewegen.«
    »Denk doch an die arme Blondine.«
    »Nicht mal das gelingt mir. Ich bin tatsächlich krank.«
    »Ich koche jetzt das Huhn; à la Véronique mit paillason von Kartoffeln, und dazu Gâteau Ganache.«
    Ich hatte nicht die Kraft, ihr etwas an den Kopf zu werfen. Außerdem war sie auch schon aus dem Zimmer.
    Sylvia, die vor unserer Heirat Mannequin gewesen war, zeigte sich als Köchin völlig unberechenbar, ihre Menüs reichten von gewöhnlichen Hamburgers bis zu solchen Ungeheuerlichkeiten wie mit Erbsen gefüllten Zitronenkörbchen. Im letzten Monat hatte sie einen Fortgeschrittenenkursus in französischer Küche absolviert und dabei den gleichen Enthusiasmus gezeigt, zu dem sie auch sonst sporadisch fähig war.
    An Dienstagen und Freitagen taumelte sie erschöpft und blaß nach Hause, beladen mit Pappschachteln, aus denen sie voller Stolz so etwas wie eine sogenannte potage bonne femme oder scallops St. Jacques Chapon-Fin oder Salambos à l’orange zum Essen produzierte, doch montags, mittwochs und donnerstags blieben wir bei den Hamburgers. An Wochenenden hatte sie mehr Zeit und experimentierte mit den Rezepten, die sie gelernt hatte. Alles in allem: wir durften Hoffnung schöpfen: die Mahlzeiten wurden endgültig besser.
    Ich versuchte, an etwas anderes zu denken, ein schmerzendes Auge auf die Emailleschüssel gerichtet, die Sylvia dicht an meinem Bett aufgestellt hatte.
    Eine Vision von crêpes au fromages, die wir letzten Dienstag gegessen hatten, erschien vor mir. »Nierenfunktion in Hydronephrosis«, Birne vinaigrette mit Käse sablés.
    Ich ächzte. Ich war bestimmt dem Sterben nahe. Die Symptome waren zu ernst für einen gutartigen oder langsam wachsenden Tumor.
    Die Tür ging auf. Penny, in Hosen und Pulli, kam herein und stolperte über die Emailleschüssel.
    Glühende Messer durchschnitten meinen Kopf, als sie aufstand. »Warum paßt du nicht auf, wohin du läufst?«
    »Ich habe meine Augen zu.«
    »Warum das, um Himmels willen?«
    »Mein Ferienaufsatz heißt: >Ich bin ein blindes Mädchen.<« Erhobenen Hauptes tappte sie durch das Zimmer, die Arme vor sich ausgestreckt.
    Sie fiel gegen das Bett.
    »Penny!«
    »Entschuldige. Ich kann nichts sehen.«
    »Hat dir Mami denn nicht gesagt, daß ich krank bin?«
    »Sie sagte, du hättest gestern nacht zuviel getrunken.« Sie stieß polternd gegen den Frisiertisch, auf dem alle Flaschen klirrten.
    »War der Abend nett?«
    »Nicht schlecht.«
    »Was hast du denn gemacht?«
    »Ich weiß nicht mehr genau. Getanzt.«
    »Tanzt du gern?« Sie warf eine von Sylvias Parfümflaschen um. »Ganz gern.«
    »Darf ich auch zum Tanzen gehen?«
    »Du kannst gehen, wohin du willst. Aber laß mich jetzt allein, bitte!«
    »Ich hasse es, blind zu sein.«
    Sie rannte gegen die Tür.
    »Milton war übrigens blind.«
    Sie suchte nach der Klinke.
    »Wußtest du das?«
    »Was?«
    »Daß Milton blind war?«
    »Warte nur, bis du einmal krank bist!«
    »Mami sagt, du bist gar nicht krank. Aber wenn ich krank wäre, hätte ich nichts dagegen, Coca-Cola zu trinken.«
    Sie öffnete die Tür.
    Angespannt wartete ich auf den Knall.
    Sie brauchte dazu eine ganze Minute, um die Tür so leise wie ein Windhauch zuzuziehen. Mit einem lauten Krach ließ sie dann die Klinke los.
    Am nächsten Morgen gegen halb acht fühlte ich mich besser, wenn auch schwach. Sylvia erkundigte sich sanft nach dem Tumor.
    »Zukünftig werde ich einen Kater«, sagte ich und betrachtete mein blasses Spiegelbild, »mit der größten Anteilnahme behandeln. Es ist die reine Hölle.«
    »Besonders für die Familienangehörigen«, sagte Sylvia. »Das Telefon!«
    »Geh du ’ran, Liebling.«
    Ich fuhr fort, meinen zwei Tage alten Bart zu rasieren.
    »Mrs. Francis ist am Apparat. Sie möchte geimpft werden. Ihr Mann auch, und die Jungen.«
    »Jetzt gleich?«
    »Sie wollen dann in die Sprechstunde kommen. Ob du Serum da hast?«
    »Wahrscheinlich wollen sie in die Tropen fahren. Nun gut. Sag ihr, sie sollen möglichst bald kommen.«
    Robin traf um halb neun mit grauem Gesicht ein.
    »Gutes neues Jahr«, wünschte ich ihm.
    Er grunzte ungnädig. Im allgemeinen war er der leutseligste Kompagnon.
    Ohne den Kaffee anzurühren,
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