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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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gute Nebenzweck so eines guten Zwecks ist es natürlich, Bürgernähe-Verrenkungen im Wahlkampf etwas weniger bizarr oder zumindest auch nützlich erscheinen zu lassen.
    Roland Koch schöpft eine Kelle Pufferteig ins zischende Fett und ruckelt fachmännisch an der Pfanne. Die Fotografen lauern schon, denn der spannendste Moment dieses insgesamt ja eher mäßig aufregenden Termins ist natürlich das zur beidseitigen Pufferbräunung nötige Wendemanöver: Wird Koch es wagen, den Puffer in die Luft zu schleudern? Wird er ihn dann mit der Pfanne auch wieder auffangen? Wäre ja so oder so ein tolles Foto. Mit einem Bratwender zerteilt Koch den halbgaren Puffer in zwei Hälften, dreht sie mit diesem Hilfsgerät auch um, ab dem dritten Puffer traut er sich, hebt die Pfanne mit einem Ruck, der Puffer fliegt hoch, dreht sich im Flug – und landet unversehrt auf der richtigen, also der noch ungebratenen Seite wieder in der Pfanne. Fast hätte man applaudiert, aber das vielfache Kameraklicken ist ja für Politiker auch eine Art Applaus.
    Apfelmus, Zimt und Zucker stehen zur individuellen Verfeinerung bereit, die ersten Bürger pieksen Plastikgabeln in die Puffer. Doch,

    schmeckt, sagen sie. Manche zahlen auch mehr als 30 Cent, es ist ja für einen guten Zweck. Eine ältere Dame aber ist etwas erbost, dass man jetzt nichtmal mehr vor der Wahl Geschenke von Politikern bekommt. Koch: »Ist nicht für uns, das Geld, ist für die Garnisonkirche!« Für die schon gar nicht, sagt die ältere Dame, da fließe sowieso zu viel Geld hin. Ein Passant, der sich kurz zuvor eine Roland-Koch-Biographie hat signieren lassen, empfiehlt ihr, dann doch besser auf den Marktplatz zurLinkspartei zu gehen, da gebe es »Bratwurst umsonst«. Beifallheischend schaut er zu Koch, aber der muss gerade einen Puffer auffangen.
    Um diese Zeit ist das Einkaufszentrum nicht gerade übervölkert, die Fotografen haben ihre Bilder beisammen, Roland Koch pinselt neues Fett in die Pfanne, hat jetzt eine gewisse Routine entwickelt, Gelegenheit also, mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Zwei Rewe-Verkäuferinnen, die frühmorgens die 20 Kilogramm Kartoffeln geschält haben, die Reiche und Koch nun zu Puffern braten, stehen – ebenfalls weiß beschürzt – neben Koch, spricht er eben mit denen, ganz locker, von Mensch zu Mensch. Es ist für den Beobachter immer schwer zu entscheiden, wer sich bei diesen um Normalität innerhalb der totalen Künstlichkeit ringenden Gesprächen unwohler fühlt, der Bürger oder der Politiker – beide Seiten bemühen sich so sehr bei dieser in Worte gegossenen Demonstration der Sprachlosigkeit zwischen Volk und dessen Vertretern, dass man lieber betreten zur Seite schaut.
    Sie arbeiten hier?, eröffnet Koch.
    Ja.
    Mhm – wie lange schon?
    Seit viereinhalb Jahren.
    Und Ausbildung gemacht, hier bei Rewe?
    Ja.
    Koch schaut sich um und sieht: Brillenbär Discount-Depot, Reno, kik, Rossmann, einen Münzfernsprecher und einen Geldautomaten. »Ist ein schönes Einkaufszentrum«, sagt er, lädt einen weiteren Puffer auf einen Pappteller und fragt die beiden Verkäuferinnen, ob sie gern kochen.
    Joah, geht so.
    Er selbst, erzählt Koch, stehe in der Küche, wann immer er Zeit finde, was natürlich nicht allzu oft der Fall sei, »aber am Wochenende und an Feiertagen regelmäßig«.
    Schweigen.
    Dann ruft Koch: »Wem können wir denn hier noch was Gutes tun, sonst werden die Dinger kalt!«
    Eine Frau bremst ihren Einkaufswagen und zeigt auf ihre krückengestützt hinterdreinhumpelnde Mutter: »Herr Koch, am Sonntag hat die Oma Geburtstag, und da geht sie auch wählen.«
    Aus ihrem Einkaufswagen ragen Tiefkühltorte und Blumen.
    »Na, das ist doch sehr schön«, gratuliert Koch, »haben Sie denn auch schon einen Kartoffelpuffer probiert?«
    Dann lässt er wieder die Puffer durch die Luft fliegen. Mit so kleinen Pfannen komme er ganz gut zurecht, sagt Koch, der heute alle hochgeworfenen Puffer auch wieder auffängt – »je größer die Pfanne, desto größer das Risiko«. Eine Regel, die auch auf Kochs politische Karriere anwendbar scheint, in der ja manches in die Pfanne gehauen wurde und danebenging. Ein begeistert kauender Herr macht Koch jetzt das für häufig im Fernsehen auftretende Menschen zwiespältige Kompliment, er wirke »in echt« viel sympathischer. Koch nickend: »Deshalb fahren wir ja auch so viel durchs Land.«
    Warum überhaupt Kartoffelpuffer?
    Na, Brandenburger Kartoffeln!, ruft Katherina Reiche.
    Die letzten Puffer
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