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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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und USB-Stick und Schnickschnack.
    Ist nicht Grönemeyer manchmal auch nicht Herbert, dann nämlich, wenn öffentlich sein Privatleben erkundet wird? Dann nimmt er doch schlecht geschriebene Biographien vom Markt (da ist es wieder!), verklagt Boulevard-Zeitungen und so weiter – aber im Booklet seiner Best-Of-Platte nun privateste Bilder, auf dem Cover gar ein Babyfoto. Herbie-Baby! Er bestimmt, wo es mit ihm langgeht, was er wann preisgibt, wann seine Plattenfirma die alten Hits in welcher Reihenfolge ins Weihnachtsgeschäft stapeln darf – es ist dadurch eine neue Platte, ein vollgültiges Kunstwerk von Herbert Grönemeyer, auch wenn der Plattenfirmenboss in seiner Begrüßungsansprache natürlich vom »Produkt« spricht (und von »Kick-off-Meetings«). Es sei Grönemeyers erste Best-Of-Platte, wird gesagt, und das stimmt auch, wenn man die Kopplung »So gut« nicht mitzählt, eine Zusammenstellung der paar gelungenen Lieder aus seinen ersten vier Platten. Dazu tragisch passend der Titel der letzten, vor acht Jahren erst erschienenen Westernhagen-Best-Of-CD: »So weit …«, auf der Westernhagens Hits und zwei laue neue Liedlein Platz fanden – seither hat er keinen Hit mehr landenkönnen, warum eigentlich jetzt schon wieder ein Best Of? Die Fan-Adressen, richtig.
    Denken wir uns den Fan, der alle Platten besitzt: Grönemeyers Best Of wird er kaufen, wegen des neuen Lieds »Glück« allein schon, auch weil ihn Grönemeyers Auswahl interessiert, und wenn er 30 Euro mehr hinzulegen bereit ist: wegen des Bildbands und Schnickschnacks. Warum aber sollte der Westernhagen-Fan eine CD kaufen, auf der nichts Neues zu finden ist, ja deren Auswahl nichtmal der Künstler selbst getroffen hat? Auf Grönemeyers Internet-Seite kann »Deine Stimme gegen Armut« abgegeben werden – auf Westernhagens Homepage kann man helfen, das Ende aller Kunst zu besiegeln, »Wünsch Dir Deinen Westernhagen«, drei Lieder pro Fan, äh, pro Mailadresse. Er wird die bestplatzierten Lieder dann live spielen und, »Wunschkonzert« genannt, als CD veröffentlichen, alles wie von Tim Renner empfohlen. Prima, aber warum sollte ich mich denn in die unoriginellen Wünsche der Westernhagen-Fans einreihen, mich möglicherweise noch mit denen in irgendeiner »Forum« genannten Orthographiehölle austauschen wie der letzte Blog-Depp, und dann diese auf zwei Live-Platten und einem nicht alten Best Of auch schon totgejaulten, banalsten »Hits« noch mal kaufen und hören? Erfolgreiche Musiker erzählen häufig aus ihrer steinigen Anfangszeit, wie schlimm es gewesen sei, irgendwelche Hits auf Bestellung zu spielen. Und wie schön es sei, heute spielen zu dürfen, was immer man wolle. Was bitte ist denn mit dem Künstler passiert, der plötzlich freiwillig auf Befehl spielt, der uns nicht selbständig etwas zu sagen oder vorzutragen weiß? Gibt es dafür nicht Jukeboxen, Karaoke-Bars, iTunes?
    Ich habe also nun, Selbstversuchen gegenüber seit jeher aufgeschlossen, gevotet für Lieder, die zum Zeitpunkt meiner Stimmabgabe im Mittelfeld der Fan-Gunst lagen, es vielleicht durch meine Stimme noch ins Programm schaffen:
    »Hier in der Kneipe fühl’ ich mich frei«
    »In meiner Bude flipp’ ich aus«
    »Der Junge auf dem weißen Pferd«
    Aber ich besitze die schon, wie sonst könnten sie meine Favoriten sein? Und wenn ich die hören will, suche ich sie, lege sie auf – und alles ist schön.
    Tatsächlich, in Karaoke-Bars singe ich ab und zu ganz gern »Johnny Walker« oder »Geiler is’ schon«. Bei meinem zweiten Westernhagen-Konzert hat es mich irritiert, wie er die Lieder immer genau gleich spielt, selbst die schon von der Live-Platte bekannten Ansagen und Zwischenrufe identisch wiederholt. Die Einzigartigkeit jeder Grönemeyer-Ansage bei Konzerten erkennt man schon am kruden Satzbau – auch er weiß Effekte zu setzen, doch geht er da abwechslungsreicher vor. Dadurch waren Westernhagen-Shows stets perfekter (und die Live-Platten klingen auch deutlich besser als die von Grönemeyer, geübt ist geübt), aber dadurch auch aseptisch, Westernhagen selbst findet das höchstwahrscheinlich »international« oder auch »professionell«. Und so sage ich also in der Karaoke-Bar, bevor ich »Johnny Walker« anstimme, stets werktreu: »So, alle Nichtalkoholiker bitte den Saal verlassen jetzt, Jugendliche unter 18 Jahren, schwangere Frauen – jetzt kommen die scharfen Sachen.« Und singe ich »Geiler is’ schon«, schmeichle ich vorher, genau wie Westernhagen auf
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