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Atme nicht

Atme nicht

Titel: Atme nicht
Autoren: Jennifer R. Hubbard
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deshalb …«
    Ja, das war das Problem: die vielen Kilometer, die zwischen uns lagen. »Was macht deine Musik?«, schrieb ich, worauf sie sehr ausführlich antwortete. Ich lehnte mich zurück und sah gebannt zu, wie ihre Worte über den Bildschirm scrollten. Am liebsten hätte ich jedes einzelne Wort vom Bildschirm gepflückt, um es mir in den Mund zu stecken.
    Nachdem Val und ich uns voneinander verabschiedet hatten, machte ich den Computer aus, warf mich aufs Bett und dachte an den Tag zurück, an dem sie schluchzend auf dem Sofa gelegen und ich ihr das Haar gestreichelt hatte. Und auch an die Situation, als wir zusammen im Gang gestanden und sie mir die Hand ums Handgelenk gelegt hatte. Ich versuchte, mich zu erinnern, wie warm und glatt ihre Haut gewesen war, versuchte sogar, es wieder zu fühlen. Ich schloss die Augen, umfasste mein Handgelenk und bemühte mich, zu spüren, was sie gespürt hatte, versuchte, ihre Berührung wieder heraufzubeschwören. Ich merkte, wie von dieser Stelle aus ein Hitzestrom in meinen Arm ausstrahlte, sich in meiner Brust ausbreitete und immer weiter wanderte, bis er schließlich meinen ganzen Körper erfasste.
    Ich öffnete die Augen und setzte mich wieder auf. Wenn die Klimaanlage nicht an gewesen wäre, hätte ich das Fenster geöffnet. Ein paar Minuten saß ich nur so da, um die Hitze in meinem Innern abklingen zulassen. Danach ging ich nach unten.
    Ich schlenderte zum Wasserfall und stellte mich darunter, bis ich vor Kälte bibberte. Als ich ans Ufer watete, war ich davon überzeugt, dass meine Haut sich bereits bläulich färbte. Aber wenigstens hatte ich diesmal ein Handtuch mitgenommen.
    Während ich mich noch abrieb, damit mir etwas wärmer wurde, tauchte Nicki auf.
    »Oh, hey«, sagte ich und hörte abrupt auf, mich abzutrocknen. Bei ihrem Anblick geriet ich so durcheinander, dass ich nicht recht wusste, wie ich reagieren sollte.
    »Ich wollte dir sagen …«, begann sie, doch ich fiel ihr ins Wort.
    »Das mit deinem Vater tut mir leid.«
    Sie verzog den Mund und wurde knallrot im Gesicht. »Ich wollte mich für die Mail entschuldigen, die ich dir geschickt habe. Tut mir leid, dass ich so aufdringlich war.«
    »Nein, das ist …«
    Sie balancierte wie ein Flamingo auf einem Bein und vermied es, mich anzusehen.
    »Das ist schon okay«, beendete ich meinen Satz.
    »Ich hätte dich nicht damit belästigen sollen.«
    »Hast du doch nicht.«
    »Es ist nur so, dass ich noch nie jemanden hatte, den ich danach fragen konnte. Nach dem Tod meines Dads hab ich verschiedene Bücher und so gelesen, aber in keinem stand drin, was ich eigentlich wissen wollte.« Sie hob den Kopf, um mich mit ihren grauen Augen anzusehen. »Jedenfalls hab ich mir was anderes überlegt, um etwas über ihn herauszufinden.«
    Ich pellte mir das nasse T-Shirt von der Haut. »Was denn?«
    »Ich fahr runter nach Seaton, um dort mit jemand zu sprechen.«
    »Und mit wem?«
    Sie trat so nahe an mich heran, dass mir wieder ihr apfelsiniger Geruch in die Nase stieg. »Mit einem Medium, das mit den Toten redet«, erklärte sie mit gedämpfter Stimme, als sollten die Eichhörnchen auf den Bäumen nichts davon mitbekommen. »Morgen habe ich einen Termin bei der Frau.«
    »Soll das ein Witz sein?«
    Nicki schüttelte den Kopf.
    »Mensch, das ganze Zeug ist doch der reinste Mist.«
    »Nein, ist es nicht.«
    »Nun hör aber auf.« Fast hätte ich ihr einen Klaps mit dem Handtuch gegeben. »Das ist doch pure Zeitverschwendung.«
    »Sie soll echt gut sein. Im letzten Frühjahr war meine Freundin Angie bei ihr. Angies Großvater hat durch das Medium mit ihr gesprochen und von dem Hund erzählt, den sie früher hatten und der immer Frisbee gespielt hat. Davon konnte das Medium überhaupt nichts wissen.« Sie sah mich eindringlich an, als könnte sie mich auf diese Weise überzeugen. Aber dass jemand mal einen Hund gehabt hatte, war nicht schwer zu erraten. Es war ja nicht so, dass das Medium von einem dreiköpfigen Einhorn gesprochen hätte.
    »Quatsch«, sagte ich.
    »Woher willst du das denn wissen? Etwas muss da doch dran sein.«
    »Und wieso? Bloß weil die Leute es so haben wollen?«
    Sie runzelte die Stirn und zupfte an ihrer Unterlippe herum. Erst da bemerkte ich, dass sie sich die Fingernägel lila lackiert hatte. »Dann glaubst du also nur an das, was du sehen kannst? Was du direkt vor Augen hast?«, erwiderte sie. »Und damit hat sich’s dann, ja?«
    »Ich glaube auch an viele Dinge, die ich noch nie gesehen
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