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Atme nicht

Atme nicht

Titel: Atme nicht
Autoren: Jennifer R. Hubbard
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nichts. Er klimperte nur mit den Schlüsseln und nickte auffordernd in Richtung Auto. Nicki setzte sich nach vorn und schaltete das Radio ein. Ich nahm hinten Platz. Sie stellte die Musik so laut, dass Kent, selbst wenn er gewollt hätte, sich nicht mit uns hätte unterhalten können. Die Straße vor uns flimmerte in der Hitze.
    Ich versuchte, an Nickis Hinterkopf irgendetwas abzulesen – ob sie angespannt war oder voller Hoffnung oder beunruhigt –, aber es gelang mir nicht. Als ich dann versuchte, mir das Medium vorzustellen, gelang mir das auch nicht so recht. Irgendwie hatte ich eine Frau in wallenden Gewändern vor Augen, die sich über eine Kristallkugel beugte, fragte mich aber, ob das nicht genau so ein Klischee war wie das von den Ärzten in Fernsehserien, die mit einem HNO-Spiegel auf dem Kopf herumliefen und Hausbesuche machten.
    Kent setzte uns an der Post ab. Seaton war ein typisches Beispiel für die Behauptung, Amerika werde immer mehr zu einer einzigen Reihe von Kettenläden. Es gab Tankstellen, Fast-Food-Restaurants, Reinigungen und riesige Supermärkte, das heißt nichts, was man nicht auch an tausend anderen Orten hätte finden können. Wenn man an Gedächtnisverlust litt und in Seaton wieder zu sich kam, hätte man keinen blassen Schimmer, in welchem Teil des Landes man sich überhaupt befand.
    Die heiße Augustluft waberte über der Straße und versengte mir förmlich die Lunge. Ich wünschte, wir wären auf der Terrasse unseres Hauses gewesen, um dem Gesang der Zikaden zu lauschen. Oder am Wasserfall, um uns mit kalter Gischt bespritzen zu lassen.
    Nicki verschlang die Finger ineinander und sagte mit zitternder Stimme: »Dann wollen wir mal.« Am liebsten hätte ich ihre Hand genommen, um sie zu beruhigen, sah aber keine Möglichkeit, meine Hand zwischen ihre nervös verkrampften Finger zu schieben. Außerdem fasste ich nie jemanden an.
    An der Post bogen wir in eine Nebenstraße ab, die von Lagerhäusern gesäumt wurde. Der Wind wirbelte uns leere Plastiktüten und Einwickelpapier um die Füße. Der Bürgersteig war voller Risse, aus denen Unkraut wuchs. Die Sonne knallte uns auf die Schultern und mein T-Shirt war bereits klatschnass. Auf Nickis Haut hatten sich Schweißtropfen gebildet.
    Ich war gespannt, wie dieses Medium vorgehen, was sie sagen und ob es mir gelingen würde, ihr auf die Schliche zu kommen. »Regel Nummer eins«, erklärte ich, »ist, dass du ihr nichts erzählst. Sie muss dir was erzählen.«
    »Weiß ich! Gib ihr einfach eine Chance.«
    Wir kamen zu einer Reihe niedriger Häuser aus Ziegelstein, die von Maschendrahtzäunen umgeben waren, und Nicki machte sich daran, die Hausnummern durchzuzählen. Am liebsten hätte ich sie gefragt, warum diese Frau, wenn sie so begabt war, nicht die Lottozahlen vorhersagte, damit sie in eine bessere Gegend ziehen konnte, aber das verkniff ich mir. Außerdem nahm ich an, dass Medien dauernd diese Frage zu hören bekamen, für die sie wahrscheinlich eine Standardantwort parat hatten.
    »Hier ist es«, sagte Nicki. Eine Tüte, in der mal Käsecracker gewesen waren, blieb an ihrem Fuß kleben. Wir gingen zur Haustür und Nicki drückte auf die Klingel.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich.
    »Ja«, fuhr sie mich an.
    Mit den wallenden Gewändern und der Kristallkugel hatte ich total falschgelegen. Wir wurden auch nicht in ein dunkles Zimmer geführt, in dem es nach Weihrauch roch und leise unheimliche Musik erklang. Stattdessen empfing uns eine kleine rundliche Frau mit Brille. Sie erinnerte mich an Jakes Großmutter, die ihn regelmäßig in der Klinik besucht hatte. Wir kamen in ein Wohnzimmer, wo auf Wandregalen Zigtausende von Porzellanfigürchen standen: Schneemänner, Ballerinen, Hunde, Katzen, Pferde, Einhörner, Blumen … Ich verdrehte mir fast die Augen, als ich versuchte, sie alle in den Blick zu bekommen.
    Während Nicki und ich die Figuren anstarrten (die irgendwie zurückzustarren schienen), stand das Medium schweigend vor zwei eierschalenfarbenen Sofas und wartete. Anscheinend hatte sie die Erfahrung gemacht, dass ihre Klienten erst einmal den Figürchen-Schock verdauen mussten.
    »Wow«, sagte Nicki schließlich.
    »Gefallen sie dir?«
    »Äh … klar. Die sind ganz süß.«
    »Du bist sicher Nicki«, sagte das Medium und sah mich anschließend fragend an.
    Um ihre Kräfte zu testen, wollte ich, dass sie von selbst draufkam, wer ich war, doch Nicki sagte: »Das ist mein Freund Ryan.«
    »Willkommen. Bitte setzt
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