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Atlantis

Titel: Atlantis
Autoren: Stephen King
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Herbst mit Mrs. Gerber, Carol und dem kleinen Ian (den Carol immer Schnodder-Ian nannte) zu einer Kirchweih gefahren war, hatte er Männer und Frauen gesehen, die draußen auf dem Land Äpfel pflückten. Auf seine Frage nach diesen Leuten hatte Mrs. Gerber erklärt, das seien Migranten, so wie manche Vogelarten - immer unterwegs, immer dort in Scharen anzutreffen, wo gerade irgendwelche Früchte reif seien. Bobbys Mutter hätte eine von ihnen sein können, aber sie war es nicht.
    Sie war jedoch Mr. Donald Bidermans Sekretärin bei Home Town Real Estate, der Firma, bei der Bobbys Dad gearbeitet hatte, als er seinen Herzinfarkt hatte. Bobby vermutete, dass sie den Job vor allem deshalb bekommen hatte, weil
Donald Biderman Randall gemocht hatte und weil sie ihm leidtat - verwitwet, mit einem kleinen Sohn, der kaum den Windeln entwachsen war -, aber sie war gut in ihrem Job, und sie arbeitete hart. Sehr oft bis spät in die Nacht hinein. Bobby war ein paar Mal mit seiner Mutter und Mr. Biderman zusammen gewesen - am deutlichsten erinnerte er sich an das Betriebspicknick, aber auch daran, wie Mr. Biderman sie zum Zahnarzt in Bridgeport gefahren hatte, als Bobby beim Spielen in der Pause ein Zahn ausgeschlagen worden war -, und die beiden Erwachsenen hatten so eine gewisse Art gehabt, einander anzusehen. Manchmal rief Mr. Biderman seine Mutter abends an, und in diesen Gesprächen nannte sie ihn Don. Aber »Don« war alt, und Bobby dachte nicht viel über ihn nach.
    Bobby wusste nicht so genau, was seine Mutter tagsüber (und abends) im Büro machte, aber er war sich sicher, dass es besser war, als Schuhe herzustellen oder Äpfel zu pflücken oder um halb fünf Uhr morgens die Backöfen der Tip-Top Bakery anzuheizen. Bobby war sich sicher, dass es all diese Jobs um Längen schlug. Außerdem handelte man sich bei seiner Mutter Ärger ein, wenn man sie bestimmte Sachen fragte. Zum Beispiel, wieso sie sich drei neue Kleider von Sears leisten konnte, eins davon aus Seide, aber keine drei Monatsraten von 11 Dollar 50 für das Schwinn im Schaufenster von Western Auto (es war rot und silbern, und Bobbys Eingeweide krampften sich schon vor Sehnsucht zusammen, wenn er es bloß ansah). Wenn man sie solche Sachen fragte, handelte man sich richtigen Ärger ein.
    Das tat Bobby nicht. Er machte sich einfach daran, das Geld für das Fahrrad selbst zu verdienen. Dafür würde er bis zum Herbst brauchen, vielleicht sogar bis zum Winter,
und dieses spezielle Modell würde bis dahin möglicherweise aus dem Schaufenster von Western Auto verschwunden sein, aber er würde nicht aufgeben. Man musste sich schon dahinterklemmen und sich ordentlich ins Zeug legen. Das Leben war nicht leicht, und fair war es auch nicht.
     
    Als es am letzten Dienstag im April endlich so weit war und Bobby elf wurde, schenkte ihm seine Mutter ein kleines, flaches, in Silberpapier eingeschlagenes Päckchen. Es enthielt einen orangefarbenen Leserausweis für die Bücherei. Einen Leserausweis für Erwachsene . Adieu, Nancy Drew, Hardy Boys und Don Winslow von der Navy - jetzt kamen all die anderen dran, Geschichten voller geheimnisvoller, verworrener, leidenschaftlicher Gefühle wie Das Dunkel am Ende der Treppe. Ganz zu schweigen von blutigen Dolchen in Turmzimmern. (In den Geschichten mit Nancy Drew oder den Hardy Boys gab es auch Geheimnisse und Turmzimmer, aber nur sehr wenig Blut und überhaupt keine leidenschaftlichen Gefühle.)
    »Aber denk dran, dass Mrs. Kelton an der Ausleihe eine Freundin von mir ist«, sagte seine Mutter in ihrem üblichen trockenen, warnenden Ton. Sie freute sich jedoch über seine Freude - sie sah sie ihm an. »Wenn du versuchst, irgendwas Schlüpfriges auszuleihen - Sachen wie Die Leute von Peyton Place oder King’s Row -, dann werd ich’s erfahren.«
    Bobby lächelte. Das wusste er.
    »Und wenn du an die andere gerätst, Miss Übereifrig, und sie dich fragt, was du mit einer orangefarbenen Karte machst, dann sag ihr, sie soll sie umdrehen. Da steht meine schriftliche Erlaubnis drauf, über meiner Unterschrift.«
    »Danke, Mama. Das ist prima.«

    Sie bückte sich lächelnd und gab ihm einen trockenen Lippenwischer auf die Wange, der fast schon vorbei war, ehe sie ihn überhaupt berührt hatte. »Freut mich, dass es das Richtige ist. Wenn ich früh genug nach Hause komme, gehen wir ins Colony und essen gebratene Muscheln und Eis. Mit deinem Kuchen musst du bis zum Wochenende warten; vorher hab ich keine Zeit zum Backen. Jetzt zieh deine
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