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Atlantis

Titel: Atlantis
Autoren: Stephen King
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    Als Bobby die Frage stellte, passierten sie gerade eine jener Straßenlaternen, die diese Seite des Commonwealth Park säumten, und Bobby sah, wie der Mund seiner Mutter
sich veränderte, so wie jedes Mal, wenn er es wagte, eine Frage über seinen verstorbenen Vater zu stellen. Die Veränderung erinnerte ihn an eine ihrer Handtaschen: Wenn man an den Schnüren zog, wurde das Loch oben kleiner.
    »Ich werde dir sagen, was er hinterlassen hat«, begann sie, als sie sich an den Aufstieg zum Broad Street Hill machten. Bobby wünschte bereits, er hätte nicht gefragt, aber jetzt war es natürlich zu spät. Wenn man sie erst mal in Gang gesetzt hatte, ließ sie sich nicht mehr stoppen, das war das Problem. »Er hat die Police einer Lebensversicherung hinterlassen, die in dem Jahr vor seinem Tod erloschen war. Ich wusste so gut wie nichts davon, ehe er fort war und jeder - einschließlich des Leichenbestatters - ein kleines Stück von dem haben wollte, was ich nicht hatte. Er hat auch einen großen Stapel unbezahlter Rechnungen hinterlassen, die ich inzwischen größtenteils abbezahlt habe - die Leute waren sehr verständnisvoll, was meine Situation betrifft, besonders Mr. Biderman, das kann man nicht anders sagen.«
    Das waren alles alte Geschichten, ebenso langweilig wie von Bitterkeit durchsetzt, aber dann erzählte sie Bobby etwas Neues. »Dein Vater«, sagte sie, als sie sich dem großen Wohnhaus näherten, das auf halber Höhe des Broad Street Hill stand, »konnte nie an einem Inside Straight vorbeigehen.«
    »Was ist ein Inside Straight, Mama?«
    »Unwichtig. Aber eins sag ich dir, Bobby-O: Lass dich bloß nie von mir beim Kartenspielen um Geld erwischen! Davon hab ich für den Rest meines Lebens genug.«
    Bobby wollte nachfragen, überlegte es sich aber anders; weitere Fragen hätten wahrscheinlich eine Schimpfkanonade
ausgelöst. Ihm ging der Gedanke durch den Kopf, dass der Film, in dem es um unglückliche Ehemänner und Ehefrauen gegangen war, sie vielleicht auf eine Weise aufgeregt hatte, die er als Kind nicht verstehen konnte. Er würde seinen Freund John Sullivan am Montag in der Schule nach den Inside Straights fragen. Bobby glaubte, dass es dabei um Poker ging, aber er war sich da nicht ganz sicher.
    »In Bridgeport gibt es Häuser, in denen Männer ihr Geld lassen«, sagte sie, während sie auf die Haustür zusteuerten. »Da gehen dumme Männer hin. Dumme Männer richten ein heilloses Schlamassel an, und für gewöhnlich sind’s die Frauen dieser Welt, die hinterher alles wieder in Ordnung bringen müssen. Tja …«
    Bobby wusste, was als Nächstes kam; es war immer schon der Lieblingsspruch seiner Mutter gewesen.
    »Das Leben ist nun mal nicht fair«, sagte Liz Garfield, als sie ihren Hausschlüssel herausholte und Anstalten machte, die Tür von 149 Broad Street in der Stadt Harwich, Connecticut, aufzuschließen. Es war April 1960, die Nacht atmete Frühlingsduft, und neben ihr stand ein magerer Junge mit den verwegenen roten Haaren seines toten Vaters. Sie strich ihm so gut wie nie durchs Haar; wenn sie einmal zärtlich zu ihm war, was selten genug vorkam, berührte sie ihn meistens am Arm oder an der Wange.
    »Das Leben ist nicht fair«, wiederholte sie. Dann machte sie die Tür auf, und sie gingen hinein.
     
    Es stimmte schon, dass seine Mutter nicht wie eine Prinzessin behandelt worden war, und es war sicher verdammt schade, dass ihr Mann sein Leben im Alter von sechsunddreißig Jahren auf dem Linoleumfußboden eines leeren
Hauses beschlossen hatte, aber Bobby dachte manchmal, es hätte schlimmer kommen können. Sie hätte zum Beispiel zwei Kinder haben können statt eins. Oder drei. Ja sogar vier, zum Teufel.
    Oder angenommen, sie hätte einen wirklich harten Job machen müssen, um sie beide zu ernähren? Sullys Mutter arbeitete in der Tip-Top Bakery in der Innenstadt, und in den Wochen, in denen sie die Backöfen anheizen musste, bekamen Sully-John und seine beiden älteren Brüder sie praktisch nicht zu Gesicht. Außerdem hatte Bobby die Frauen beobachtet, die aus der Peerless Shoe Company kamen, wenn um drei Uhr die Sirene heulte (er selber kam um halb drei aus der Schule), Frauen, die alle viel zu dünn oder viel zu dick zu sein schienen, Frauen mit bleichen Gesichtern und schrecklichen, wie altes Blut aussehenden Farbflecken an den Fingern, Frauen mit gesenktem Blick, die ihre Arbeitsschuhe und Arbeitshosen in Einkaufstüten von Total Grocery bei sich trugen. Als er im letzten
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