Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Atlantis

Titel: Atlantis
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
ihn, aber gerade, als sie zum Kochtopf geschleift wurden, begann der Vulkan zu grollen, und …
    »Hallo, Robert.«
    Bobby blickte noch überraschter auf als am Morgen, als Carol Gerber hinter dem Baum hervorgelaufen gekommen war, um ihm einen Geburtstagsschmatz auf die Wange zu drücken. Es war der neue Mieter. Er saß auf der obersten Verandastufe und rauchte eine Zigarette. Er hatte seine alten, abgetragenen Schuhe gegen ein paar alte, abgetragene Pantoffeln eingetauscht und seine Popelinejacke ausgezogen - der Abend war warm. Er schien sich schon richtig zu Hause zu fühlen, dachte Bobby.
    »Oh, Mr. Brautigan. Hi.«
    »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    »Sie haben mich nicht …«
    »Ich glaube schon. Du warst tausend Meilen weit weg. Und ich heiße Ted. Bitte.«
    »Okay.« Aber Bobby wusste nicht, ob er bei Ted bleiben konnte. Einen Erwachsenen (und erst recht einen alten Erwachsenen) beim Vornamen zu nennen, widersprach nicht nur den Anweisungen seiner Mutter, sondern auch seinem eigenen Gefühl.
    »War’s gut in der Schule? Hast du was Neues gelernt?«
    »Ja, prima.« Bobby trat von einem Bein aufs andere, ließ seine neuen Bücher in den Händen hin und her wandern.

    »Willst du dich nicht eine Minute zu mir setzen?«
    »Klar, aber ich kann nicht lange bleiben. Ich hab einiges zu tun, wissen Sie.« Vor allem Abendessen machen - der Rest Eintopf erschien ihm mittlerweile sehr attraktiv.
    »Na sicher. Du hast einiges zu tun, und tempus fugit .«
    Als Bobby neben Mr. Brautigan - Ted - auf der breiten Verandastufe Platz nahm und ihm der Geruch von dessen Chesterfield in die Nase stieg, glaubte er, noch nie einen Mann gesehen zu haben, der so müde wirkte wie dieser hier. Das konnte doch nicht an dem Umzug liegen, oder? Wie erschöpft konnte man sein, wenn man nur mit drei kleinen Koffern und drei Einkaufstüten mit Henkeln dran umzog? Bobby überlegte, ob später vielleicht noch Männer mit Sachen in einem Laster kommen würden, aber eigentlich glaubte er nicht daran. Es war nur ein Zimmer - zwar ein großes, aber trotzdem nur ein einzelnes Zimmer mit einer Küche an der einen und allem anderen an der gegenüberliegenden Seite. Er und Sully-John waren raufgegangen und hatten sich dort umgesehen, nachdem die alte Miss Sidley einen Schlaganfall bekommen hatte und zu ihrer Tochter gezogen war.
    » Tempus fugit heißt: Die Zeit vergeht wie im Flug«, sagte Bobby. »Meine Mutter sagt das andauernd. Sie sagt auch, das Rad der Zeit hält niemand auf, und: Die Zeit heilt alle Wunden.«
    »Deine Mutter hat viele Redensarten auf Lager, stimmt’s?«
    »Ja«, sagte Bobby, und der Gedanke an all diese Redensarten machte ihn auf einmal müde. »Viele Redensarten.«
    »Ben Jonson hat die Zeit die alte, kahlköpfige Betrügerin genannt«, sagte Ted Brautigan, nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und stieß dann zwei Ströme durch die Nase
aus. »Und Boris Pasternak hat gesagt, wir sind die Gefangenen der Zeit, die Geiseln der Ewigkeit.«
    Bobby sah ihn fasziniert an. Seinen leeren Magen hatte er fürs Erste vergessen. Ihm gefiel die Vorstellung, dass die Zeit eine alte, kahlköpfige Betrügerin war - es war absolut und völlig richtig, obwohl er nicht hätte sagen können, warum … und machte diese Unfähigkeit, den Grund dafür zu benennen, die Sache nicht noch viel interessanter? Es war wie etwas in einem Ei oder wie ein Schatten hinter satiniertem Glas.
    »Wer ist Ben Jonson?«
    »Ein Engländer, der schon vor einer Ewigkeit gestorben ist«, sagte Mr. Brautigan. »Ein Egozentriker, der nicht mit Geld umgehen konnte, soweit man weiß. Und der eine Neigung zur Flatulenz hatte. Aber …«
    »Was ist das? Flatulenz?«
    Ted steckte die Zunge zwischen die Lippen und machte ein kurzes, aber sehr realistisches Furzgeräusch. Bobby schlug die Hände vor den Mund und kicherte in seine gekrümmten Finger.
    »Kinder finden Fürze komisch.« Ted Brautigan nickte. »Ja. Für einen Mann in meinem Alter gehören sie aber einfach zu dem zunehmend seltsamen Geschäft des Lebens. Ben Jonson hat zwischen seinen Fürzen übrigens eine ganze Menge kluger Dinge gesagt. Nicht so viele wie Dr. Johnson - das heißt, Samuel Johnson -, aber trotzdem noch ziemlich viele.«
    »Und Boris …«
    »Pasternak. Ein Russe«, sagte Mr. Brautigan abschätzig. »Über den braucht man nichts weiter zu wissen, denke ich. Darf ich mir mal deine Bücher ansehen?«

    Bobby gab sie ihm. Mr. Brautigan (Ted, rief er sich ins Gedächtnis, du sollst Ted zu ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher