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Aszendent Blödmann

Aszendent Blödmann

Titel: Aszendent Blödmann
Autoren: Michaela Thewes
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Meer. Ich konnte nicht gemeint sein. Von den angekündigten anderthalb bis zwei Stunden hatte ich gerade erst schlappe fünfundvierzig Minuten abgesessen. Und dass ich wegen guter Führung vorzeitig ins Allerheiligste vorgelassen würde, war mehr als unwahrscheinlich.
    »Frau Müller!«, dröhnte es kurz darauf erneut durch die offene Tür. Dieses Mal ohne »bitte«. Bevor der Feldwebel das »Frau« auch noch weglassen und nur »Müller!« brüllen konnte, pfefferte ich die Zeitschrift mit den prominenten Vorzeigemamis auf den Stapel zurück und hechtete zum Empfang.
    Der vorwurfsvolle Blick, mit dem die Sprechstundenhilfe mir ein leeres Plastikbecherchen für eine Urinprobe in die Hand drückte, sprach Bände: Wenn ich schon ohne Termin aufkreuzte, so konnte man doch wirklich erwarten, dass ich etwas kooperativer war. Das Gleiche galt übrigens auch für meine Blase.
    Es war zum Verrücktwerden! Normalerweise musste ich immer pullern, vorzugsweise dann, wenn es gerade furchtbar ungünstig war. Beispielsweise im Kino, kurz vor dem Beginn des Films, wenn alle anderen es sich gerade mit ihrem Partner und tonnenweise Popcorn im Arm auf ihren Plätzen gemütlich gemacht hatten, begann meine Blase zu quengeln. Das war so sicher wie das Auftauchen des Eisverkäufers. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit einem unterwürfigen »Tschuldigung« oder einem flehenden »Dürfte ich mal bitte?« an den anderen Kinobesuchern vorbeizuzwängen. Sie revanchierten sich, indem sie meinen Rückweg, den ich meist im Dunklen antreten musste, weil bereits die Werbung lief, mit gefährlichen Stolperfallen wie Taschen oder halb vollen Colaflaschen präparierten. Einer der Gründe, warum ich nicht besonders gerne ins Kino ging.
    Doch das hier war nicht das Kino – auch wenn ich mir vorkam wie im falschen Film. Auf Kommando schaltete meine Blase auf stur. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie der Feldwebel reagierte, wenn ich seinem Befehl, Wasser zu lassen, nicht Folge leisten würde. Allein bei dem Gedanken daran gefror mir das Blut in den Adern und das Pipi im Harnleiter. In meiner Verzweiflung griff ich zu einem Trick. Ich stellte den Wasserhahn des Waschbeckens an und schaffte es mit Hilfe der inspirierenden Plätschergeräusche mit Ach und Krach, meiner Blase ein paar Tröpfchen abzuringen. Stolz präsentierte ich meiner Lieblingssprechstundenhilfe das Resultat meiner Bemühungen. Offenbar gingen die anderen Schwangerschaftsanwärterinnen mit ihren Körpersäften nicht so geizig um wie ich. Kopfschüttelnd beäugte sie meine magere Ausbeute und schickte mich zur Strafe noch einmal zum Nachsitzen ins Wartezimmer zurück.
    Mittlerweile war ich so nervös, dass ich mindestens genauso unruhig auf meinem Stuhl herumrutschte wie die Patientin, bei der ich Hämorrhoiden oder eine Pilzinfektion diagnostiziert hatte. So konnte man sich also täuschen …
    Weitere fünfzig Minuten später wurde ich – endlich! – ins Sprechzimmer gerufen. Frau Dr. Finke reichte mir die Hand und begrüßte mich freundlich. Im Vergleich zu dem rauen Umgangston am Empfang wirkte ihre ruhige, bedächtige Art wie Baldrian auf meine aufgewühlten Nerven. Nachdem sie mich gebeten hatte, Platz zu nehmen – wohl damit mich die Nachricht nicht aus den Pantoffeln hauen konnte, sah sie auf den Zettel, den die Sprechstundenhilfe ihr auf den Schreibtisch gelegt hatte. Vermutlich das Ergebnis meines Schwangerschaftstests.
    »Es tut mir leid«, begann Frau Dr. Finke sanft.
    Verdammt, ich hatte es ja gewusst! Meine Gedanken fuhren Karussell. Babystrampler, Windeln und Stilleinlagen wirbelten in meinem Kopf wild durcheinander und türmten sich zu einem riesigen, schier unüberwindbaren Berg auf. Und was es vor der Entbindung noch alles zu erledigen gab! Sollte ich das Kind sofort im Kindergarten anmelden oder besser bis nach der Geburt warten? Und war es in wirtschaftlich unbeständigen Zeiten wie diesen nicht ratsam, so früh wie möglich eine Ausbildungsversicherung abzuschließen? Herrjemine, dachte ich, zwischen Panik und Hysterie schwankend, wie soll man all das bloß in lächerlichen neun Monaten schaffen?
    Immer schön eins nach dem anderen, rief ich mich selbst zur Ordnung. Am besten fing ich mit dem Naheliegendsten, also der Geburt, an und arbeitete mich dann chronologisch im Leben des Kindes weiter vor. Die Babyerstausstattung konnte ich mir von Charlotte leihen. Mit Ausnahme des Kinderwagens natürlich. Hierbei würde Conrad nach den schmerzhaften
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