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Asylon

Asylon

Titel: Asylon
Autoren: Thomas Elbel
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Mädchens traf und die
Flammen über ihre Haut zu züngeln begannen. Im Augenwinkel nahm er eine
Bewegung aus Emilianos Richtung wahr, die seine Aufmerksamkeit dorthin lenkte.
Der Mann war auf die Knie gesunken, zwischen seinen Augen klaffte ein
kreisrundes Loch, aus dem ein feiner roter Streifen an der Nase vorbei nach
unten floss und den Anzug netzte. Emiliano fiel zur Seite wie ein nasser Sack.
    Ungläubig starrte Torn auf die
Waffe in seiner Hand.
    Aber … Ich
habe bestimmt nicht …
    Bevor er den Gedanken zu Ende
bringen konnte, brach das Chaos los. Der Kerl mit der Maschinenpistole eröffnete
das Feuer. Torn hörte, wie die Geschosse zunächst in den Offroader hinter ihnen
nagelten. Doch dann prallte ein loderndes, schreiendes Etwas in den Mann, und
er hörte auf zu schießen. Wild fluchend versuchte er sich von der sengenden
Umarmung der Unglücklichen zu befreien, doch sie krallte sich unerbittlich an
ihm fest. Schnell verwandelten sich seine Verwünschungen in Schmerzensschreie.
Schließlich kippte das flammende Paar hintenüber, wo Sputanos restliche Bande
aus ihrer Schreckstarre erwachte und mit gezogenen Pistolen panisch zurückwich.
Doch es war zu spät. Das Feuer breitete sich auf die Methanolpfütze aus, die
sich um die zwei restlichen Kanister gesammelt hatte. Torn blieb gerade noch
Zeit, Scooter zu packen und ihn hinter den Offroader zu ziehen, bevor die Welt
in einem gewaltigen Feuerball explodierte.

3
    »Es tut mir leid«,
wiederholte der Arzt. Die Ausdruckslosigkeit seines eingefallenen Gesichts
wollte diese Aussage nicht ganz stützen. Torn konnte seinen Blick kaum von den
dichten Haarbüscheln lösen, die dem Mann aus der Nase quollen. Seine Stimme
klirrte wie Eiswürfel in einem Drink. »Mr. Gaser, haben Sie verstanden, was ich
gesagt habe?«
    Die Erwähnung seines
Familiennamens riss Torn aus der inneren Erstarrung, die die Nachricht vom Tod
seines Kindes ausgelöst hatte.
    »Ja … Ich denke schon«,
antwortete er. Es klang nicht überzeugend.
    Er suchte in seinem Inneren nach
Anzeichen von Trauer, aber es schien, als wäre jedes Gefühl in ihm ausgelöscht
worden.
    Innere Taubheit.
    Ungläubig schüttelte Torn den
Kopf. Noch vor zehn Minuten, bei seinem Eintreffen am Krankenhaus, hatte er
Scooter beinahe eine verpasst, als dieser sich nicht davon abhalten lassen
wollte, Torn auf die Station zu begleiten. Auf einmal erschien ihm all das so
unwirklich wie Erinnerungen an ein früheres Leben.
    »Nachdem wir das Kind per
Kaiserschnitt geholt hatten, mussten wir leider eine Fehlfunktion der Lunge
diagnostizieren.« Der Arzt dozierte, als würde er einen medizinischen
Fachvortrag halten. In Torns Magen begann sich dumpfer Groll zu regen. »Die
Lungenflügel haben sich nicht entfaltet. Der Säugling war also aus eigener
Kraft nicht lebensfähig. Um zehn Uhr fünfzehn, also vor«, er hob seine Uhr vor
seine Augen, die tief in den Höhlen saßen, wie zwei hässliche, argwöhnische
Tiere, »exakt einer Stunde haben wir den Exitus notiert. Wenn Sie den Befund bitte
hier unterschreiben würden.«
    Er hielt Torn ein eng bedrucktes
Blatt Papier auf einem Klemmbrett hin. Der Kugelschreiber in seiner Linken war
auf Torn gerichtet, als wolle er ihn damit erstechen.
    »Wo ist meine Frau?«
    »Nun, es geht ihr den Umständen
entsprechend, denke ich. Wenn sie nun bitte …«
    »Das habe ich nicht gefragt.«
    Für einen Moment flackerte der
Blick des Arztes irritiert. Dann fing er sich. »Hören Sie. Ihre Frau steht
unter Schock, was nach so einem Vorkommnis nicht ungewöhnlich ist. Wir mussten
sie daher sedieren. Ich glaube kaum, dass sie in der Verfassung ist, Besuch zu
empfangen.«
    »Das werde ich wohl selbst
entscheiden«, knurrte Torn, schubste die dürre Gestalt beiseite und setzte sich
in Bewegung, dorthin, wo seiner Erinnerung nach die Geburtsstation war, in der
er Yvette noch am Vortag besucht hatte.
    »Das ist ja wohl … Das werden Sie
noch …«, klirrte es empört hinter ihm her.
    Ein paar Minuten später war er in
Yvettes Zimmer, wenn man es so nennen konnte. Ein paar mobile Raumteiler aus
halb transparentem vergilbtem Vorhangstoff sollten wohl die Illusion von
Intimität schaffen. Doch die Schatten, die sich auf ihnen abzeichneten, und die
summende Geräuschkulisse erinnerten jederzeit daran, dass man sich in einem
größeren Raum mit an die vierzig Patientinnen befand.
    »Sie haben ihn mir gestohlen …«
Yvette sah erbarmungswürdig aus. Ihre Augen hatten einen glasigen Glanz, wohl
von dem
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