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Asylon

Asylon

Titel: Asylon
Autoren: Thomas Elbel
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tödlicher Untermieter ihm beinahe zum
Verhängnis geworden wäre. Die Anspannung hatte ihn vergessen lassen, dass er
nicht allein war, aber Scooter war nicht eben jemand, der sich auf Dauer
ausblenden ließ.
    »Bouncing Betty is’n fieses
Ding«, sagte Scooter im Plauderton. »Erfindung der Nazis. Springt bis zu anderthalb
Meter hoch, bevor sie detoniert. Das Schrapnell trifft also den Oberkörper und
nicht nur die Beine. Ist alles okay, Boss?«
    »Meinst du, abgesehen davon, dass
du mich beinahe umgebracht hast, du dreimal verfluchter Vollidiot?« Seine
Stimme röhrte wie ein Dieselgenerator am Rande seiner Möglichkeiten. Es tat
gut, ein wenig von der Spannung an Scooter abzureagieren.
    Torn meinte, hinter sich ein
leises Räuspern zu hören. Oder war es ein Kichern?
    »Nichts für ungut. War keine
Absicht, Boss.«
    Zumindest klang es täuschend echt
nach Betretenheit.
    »Na, das beruhigt mich doch
kolossal«, murmelte Torn halblaut.
    »Was, Boss?«
    »Nichts. Lass mich jetzt meine
Arbeit tun.« Wütend fügte er hinzu: »Und ich habe dir schon hundert Mal gesagt,
du sollst mich nicht Boss nennen.«
    »Klar, Chef.«
    Diesmal war das Kichern deutlich
zu hören. Torn seufzte. Nicht das erste Mal beschlich ihn der Gedanke, dass ihm
die Clanchefs Scooter vielleicht nur anbefohlen hatten, um ihm das Leben schwer
zu machen. Vielleicht war er ihnen zu mächtig geworden. Der beste unter den
Levellern. Allein im letzten Jahr war ihm die Beseitigung von einundzwanzig
Störungen des Kräftegleichgewichts zwischen den Clans gelungen. Erst vor einer
Woche hatte er die beiden älteren Söhne von Sputano und zwei ihrer Freunde
durch einen geschickten Mordanschlag aus dem Weg geräumt. Vittorio Sputano, den
sie »Tricky Vic« nannten, war Clanchef im Bezirk Citta Nera und einer der
mächtigsten unter den seinen. Durch die Eliminierung der beiden Söhne hatte
Torn einen drei Jahre währenden blutigen Krieg zwischen Sputanos Clan und einem
chinesischen beendet. Die Störung des Kräftegleichgewichts war entstanden, weil
Sputano der asiatischen Konkurrenz zu viel Revier im Drogengeschäft abgejagt
hatte. Der Tod seiner beiden älteren Söhne und potenziellen Nachfolger hatte
das Gleichgewicht zwischen ihm und seinem schärfsten Konkurrenten,
Drei-Finger-Feng, dem Haupt des Chinesenclans, wieder hergestellt. Sputano
kontrollierte zwar weiterhin die Märkte in den erstrittenen Stadtteilen, aber
Fengs deutlich zahlreichere Nachkommenschaft glich diesen Geländegewinn auf
lange Sicht aus.
    An diesem Abend würden sich Torn
und Gouverneur Vanderbilt mit den Clanführern zur alljährlichen Bilanz treffen.
Bis vor einem Jahr war Ennius der SupremeLeveller gewesen, dem alle anderen
Leveller unterstanden. Dann war er eines Tages spurlos verschwunden, um später
in Einzelteilen auf irgendeiner wilden Müllhalde in den unteren Ebenen wieder
aufzutauchen – wahrscheinlich der Racheakt irgendeines Clanchefs. Seitdem war
sein Posten vakant, und da es so etwas wie einen Stellvertreter nicht gab,
diente Torn sozusagen als Ersatz. Wenn seine Quellen aber recht hatten, durfte
er sich Hoffnungen machen, an diesem Abend auf Vorschlag Vanderbilts von den
Clanchefs mit der Führung der Leveller betraut zu werden. Doch Scooter und
einige andere Steine, die ihm unbekannte Hände in den vergangenen Monaten mal
mehr, mal weniger diskret in den Weg gerollt hatten, nährten seinen Verdacht,
dass es Clanchefs gab, die ihn trotz aller Protektion durch Vanderbilt nicht
gerade als ihren Traumkandidaten für den Posten des Supreme-Levellers betrachteten.
    Ein erneutes Räuspern riss ihn
aus seinen Gedanken. Richtig, die Leiche . Torn setzte
den Wimpel, ging am Arm der Sonde entlang zurück zu seiner Ausgangsposition und
nahm den Detektor wieder in Betrieb.
    Kein Summen!
    »Zum Teufel, Junge! Ich hab dir
gesagt, du sollst die verdammte Batterie aufladen, bevor wir losgehen!«
    »Hab ich gemacht, Boss. Großes
Ehrenwort.«
    »Ach, wirklich? Na dann hab ich
hier wohl endlich die Geheimtaste für geräuschlosen Betrieb gefunden!«
    Schimpfend und fluchend
schüttelte Torn das Gerät. Eigentlich war er überzeugt davon, dass Scooter die
Wahrheit sagte. Er mochte ein Quälgeist sein, aber in solchen Dingen konnte man
sich hundertprozentig auf ihn verlassen. Wahrscheinlich war der Akku einfach altersschwach,
ein seniler Elektrogreis, so wie nahezu jedes zweite Stück Technik in der
Stadt.
    Seufzend legte er das Gerät zu
Boden. Er war der Leiche kaum drei Meter näher
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