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Asylon

Asylon

Titel: Asylon
Autoren: Thomas Elbel
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neuerlichen Erkenntnis.
Doktor. Das klang wundervoll. So mächtig. So kompetent. Nach Geld und Einfluss.
Beides Dinge, die sie sich immer so sehnlich gewünscht hatte. Doch Torn, ach,
der liebe naive Torn, er konnte nicht verstehen, warum beides in einer Welt wie
dieser so überragend wichtig …
    »Und das Ergebnis?«
    »Alle Werte sind optimal.
Keinerlei genetische Auffälligkeiten. Testosteron und Dopamin im absoluten
Niedrigbereich. Dagegen hohe Serotonin- und Cortisolwerte.«
    »Wie sieht es mit der MAO-A aus?«
    »Hoch.«
    »Fein, fein«, klirrte die
Glasstimme zufrieden. »Ein kleiner Friedensengel.«
    Yvette hatte nicht die geringste
Ahnung, wovon die beiden redeten, aber es hörte sich einfach fabelhaft an. Am
liebsten wäre sie dem netten Doktor um den Hals gefallen, aber ihre Arme, ja,
ihr ganzer Körper schienen an dem Untergrund zu kleben, auf dem sie lag.
    »Fünfunddreißigste? Ist das nicht
etwas früh? Wer hat sie jetzt schon auf den Plan gesetzt? Etwa Dornheim, dieser
Idiot?«
    »Nein, Herr Doktor, das war ihr
spezieller Freund von der Grenzpolizei. Er hat ausdrücklich darum gebeten,
dass es heute geschieht.«
    »Tatsächlich? Was hat er mit
dieser Frau zu schaffen? Ist es etwa sein Kind?«
    »Nein. Soweit ich weiß, nicht.
Hätte ich es ihm ausreden sollen?«
    Yvette, deren Auffassungsgabe dem
Gespräch noch immer um Meilen hinterherhinkte, konnte hören, wie sich der Arzt
kurz räusperte, bevor er antwortete: »Nein, selbstverständlich nicht. Lassen
Sie uns anfangen. Ist sie anästhesiert?«
    »Sechs Milligramm Hypermorphin.«
    »Ausgezeichnet. Rufen Sie den
Rest des Teams. Ich beginne mit dem Kaiserschnitt.«
    Kaiserschnitt. Was für ein
fabelhaftes Wort. Es schmeckte nach Geschichte und schwerer Bedeutung. War das
nicht irgend so eine aufsehenerregende medizinische …
    Was tut ihr
da?
    Nein!
    Das tut weh!
    Bitte nicht!
    Bitte …
    Der Schmerz zerschnitt die
wohlige Wolke, die Yvette bisher eingehüllt hatte, wie ein heißer Blitz. Sie
wollte schreien, doch ihre Stimme war genauso gelähmt wie der Rest ihres
Körpers.

    Torn schien es, als
hätte die Hölle einen Dämon ausgespieen. Während seine Instinkte die Kontrolle
über seinen Körper übernahmen, war sein Geist noch völlig von dem grauenhaften
Wesen gefangen, und für ein paar Momente zählte nichts anderes auf der Welt als
dieser Anblick.
    Als sein Fuß das Bremspedal auf
den Wagenboden nagelte, begriff er, dass das Geschöpf vor ihm keine Kreatur
aus einer anderen Dimension war, keine heranstürmende Flammensäule. Es war nur
ein Mensch, ein laufender, zappelnder, schreiender, lichterloh brennender
Mensch. Und noch bevor diese Erkenntnis voll in sein Bewusstsein einsickern
konnte, prallte der lodernde Körper mit schrecklich dumpfer Gewalt gegen den
Offroader und war im nächsten Moment aus seinem Blickfeld verschwunden. Der
Schrei erstarb sofort. Nur noch das schreckliche Knistern der Flammen war zu
hören.
    Alles hatte nur ein paar
Herzschläge lang gedauert, aber als Torn die Schockstarre abschüttelte, fühlte
es sich wie eine Ewigkeit an, seit er hinter dem letzten Lkw hervorgekommen
war. In wortlosem Entsetzen vereint, stürmten er und Scooter zur Wagenfront.
Das, was einmal ein Mensch gewesen war, verdorrte und schrumpfte vor ihrer
beider Augen schnell zu einem dürren Astwesen. In der Luft lag der ekelhafte
Gestank brennenden Fleisches.
    Nur mühsam gelang es Torn, sich
von der widerwärtigen Faszination, die der Anblick auf ihn ausübte, zu lösen.
Sein Blick suchte den seines Assistenten, und in dessen Augen las er dieselbe
stumme Frage, die auch ihn bewegte.
    Wer hat das
getan?
    Weiter vorn auf der Brücke war
eine Gruppe von Menschen. Eine innere Stimme sagte ihm, dass ihn das Ganze
nichts anging, dass er gefälligst zurück in den Offroader steigen und auf dem
schnellsten Weg zu seiner Frau fahren sollte. Doch stattdessen setzte ihn ein
stummer, sengender Zorn in Bewegung.
    Bald erkannte er, dass die Gruppe
aus zwei Teilen bestand: Drei Frauen knieten, und zwischen diesen und Torn
standen ein halbes Dutzend Männer in papageienfarbenen Maßanzügen. Je näher er
kam, desto stärker wurde der Geruch von Methylalkohol, der in der Stadt häufig
als Benzinersatz genutzt wurde.
    Ein Mann stach aus der Gruppe
hervor. Ein mittelgroßer Kerl mit dem filigranen Körperbau und der gezierten Gestik
eines Tänzers. Anders als die restlichen trug er ein Ensemble, das komplett in
Schwarz gehalten war, von den Schuhen bis zur
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