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Asylon

Asylon

Titel: Asylon
Autoren: Thomas Elbel
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der Fahrbahn ein dreistöckiges Wohngebäude
errichtet. Offensichtlich hatte dies bisher keinerlei Gegenreaktion der
Mächtigen dieser Region hervorgerufen, denn mittlerweile war aus dem einsamen
Vorposten eine beträchtliche Siedlung geworden. Strickleitern, Wanten mit
Webleinen und Flaschenzüge verbanden die Satellitensiedlung mit der Kruste der
darunter liegenden Stadt.
    Torn schüttelte den Kopf und
fragte sich, ob es eine gute Entscheidung gewesen war, die alten Brücken zu nutzen,
denn auf dieser Strecke hatten sich jüngst ein paar Fälle regelrechter
Piraterie ereignet. Auf der anderen Seite war dies eindeutig der kürzeste Weg
zum Krankenhaus, zu Yvette. Eine Frühgeburt. Wie kann das
sein? Es sah doch alles so gut aus.
    »Ich kann’s einfach nicht
glauben!«, rief Scooter von hinten durch das offene Rückfenster.
    Torn sah kurz in den Rückspiegel
und folgte dann dem Blick seines Assistenten, der offenbar immer noch auf das
seltsame Szenario auf der Brücke gerichtet war.
    »Tja, vor zehn Jahren wäre so was
sofort gesprengt worden, und die Leute hätte man wahrscheinlich am Brückengeländer
aufgeknüpft. Aber heute … Es gibt ja kaum noch Sprit, und die Regierung hat
hier nichts mehr zu melden.«
    »Tja, außerdem hättest du mich
dann gleich mit aufknüpfen lassen müssen, Boss.«
    Torn warf ihm einen
verständnislosen Blick über die Schulter zu.
    »Na ja, ich wohne selber in so
einem Kasten auf ’ner Brücke, gar nicht weit von hier«, rief Scooter fröhlich.
»Ist die einzige Möglichkeit für ’nen armen Schlucker wie mich, sich ’ne
Wohnung direkt unter der Sonne leisten zu können.«
    An jedem anderen Tag hätte Torn
wenigstens ein Schmunzeln zustande gebracht, aber nun atmete er nur tief durch,
unterdrückte das Anschwellen der Panik und konzentrierte sich auf die Straße
vor ihm, neben der rechts und links der Abgrund klaffte. Er musste erneut einem
schräg stehenden, ausgebrannten Sattelschlepper auszuweichen, dessen Gerippe
die Fahrbahn beherrschte wie ein riesenhaftes Technofossil.
    »Verdammt, wie viele von den
Dingern gibt es hier eigentlich noch?«, knurrte er.
    »War bestimmt der Letzte, Boss.«
    Torn hoffte es. Bei freier Fahrt
war es nur noch eine halbe Stunde bis zum Krankenhaus.
    Eine
Frühgeburt? Und wenn schon!, versuchte er sich zu beruhigen.
    Wäre der errechnete Geburtstermin
nicht ohnehin in vier Wochen gewesen? Oder waren es fünf? Jedenfalls etwa einen
Monat zu früh. Das war doch sicher kein Problem, oder?
    Auch wenn die Ausstattung des
Krankenhauses etwas dürftig war, wie Yvette bei seinem letzten Besuch ängstlich
festgestellt hatte. Nun ja, es war das beste, das sie sich bei seinem Gehalt
leisten konnten. Als Leveller war noch niemand reich geworden, jedenfalls
solange er ehrlich blieb. Aber man genoss immerhin den Schutz der Männer, die
in dieser Welt das Sagen hatten.
    Gott im
Himmel, betete er stumm, wenn es dich gibt, lass Yvette
gesund sein. Ach, und natürlich auch das Kind. Aber vor allem meine Yvette.
Gott, ich bitte dich!
    »Was, zum …?«
    Sie hatten den Laster umrundet.
Dahinter stand das bizarrste Wesen, das Torn jemals gesehen hatte.

    »Wer ist das?«
    Yvette kannte diese Stimme. Sie
hatte sie schon einmal gehört, irgendwo. Sie klang wie klirrendes, kreischendes
Glas. Wenn es ihr nur gelingen würde, sich zu konzentrieren. Konzentration war
irgendwie wichtig. Aber seit man ihr die Spritze gegeben hatte, war da immer
diese warme Wolke um sie herum, die alles so … so wundervoll gleichgültig
machte. Warum hatte sie sich überhaupt gegen die Spritze gewehrt? Sie wusste es
nicht mehr. Hoffentlich nahm man ihr dieses unsägliche Verhalten von vorhin
nicht übel.
    »Patientin X A Strich achtunddreißig.«
Eine zweite Stimme. Weiblich. Und Yvette wusste genau, um wen es sich handelte.
Eben jene Schwester, die ihr vor wenigen Minuten, Stunden oder … Egal. Sie war
einfach überglücklich, dass sie in der Lage war, die Stimme zu erkennen. Vor
ihrem geistigen Auge erblühte ein Strauß Blumen. Irgendjemand, da war sie ganz
sicher, hatte sie ihrer guten Erinnerung wegen für eine Belobigung
vorgeschlagen.
    »Stadium?« Die andere, die
Glasstimme, klang nicht wie die einer Frau.
    »Fünfunddreißigste Woche.«
    Oh. Auch das kam ihr bekannt vor.
Sie hatte es an diesem Tag schon einmal jemanden sagen hören.
    »Gut. Wurde der Fötus getestet?«
    »Ja, Herr Doktor.«
    Das war es. Die andere Stimme war
die eines Doktors. Yvette schwelgte ein wenig in dieser
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