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Asylon

Asylon

Titel: Asylon
Autoren: Thomas Elbel
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als unwirklich vor. Wo war der Kerl überhaupt?
    Vor vier Wochen war sie, nichts
Böses ahnend, zu einer Routineuntersuchung ins St. Niclas gegangen. Man hatte
bei ihr bedenklich hohen Bluthochdruck festgestellt, und der Doc hatte ihr
strenge Bettruhe unter ständiger ärztlicher Aufsicht verordnet. Das erste
Gefühl willkommener Erholung war schon nach einem Tag abgeklungen. Nach drei
Tagen hatte sie an sich eine depressive Gereiztheit festgestellt. Jetzt, nach
vier Wochen, fühlte sie sich wie eine tickende Zeitbombe.
    Sie hörte die Stationsschwester
schon lange, bevor diese das Zimmer betrat. Wie ein Elefant stampfte sie auf
ihren Gummisohlen über das ranzige Linoleum des St. Niclas. Es klang wie bei
einem Boxkampf.
    Schwester
Beatrix.
    Yvette hatte diesen Schritt in
den vergangenen Wochen fürchten gelernt. Für einen Moment kam ihr der Gedanke,
sich schlafend zu stellen, doch sie wusste aus schmerzlicher Erfahrung, dass
das alles nur noch schlimmer machte. Seufzend schob sie sich in eine etwas
aufrechtere Lage und machte sich auf das Schlimmste gefasst.
    Die Krankenschwester stellte sich
an die Seite ihres Bettes, breitbeinig, die Hände in die Hüften gestemmt. Sie
hatte einen fahrbaren Schrank mit Schubladen mitgebracht, auf dessen Ablage
auch diesmal das Lieblingsinstrument der Schwester lag: ein Spekulum, mit dem
Yvette bereits einige böse Erinnerungen verband.
    »Und wie geht es uns heute?«,
fragte die Schwester cyclamatsüß. Das straffe Leinen, das sich über ihre ausladenden
Rundungen spannte, dünstete den Geruch von abgestandenem Desinfektionsmittel
aus.
    »Ganz gut«, antwortete Yvette
vorsichtig.
    Die Schwester starrte sie mit
gerunzelter Stirn unverwandt an, als warte sie auf irgendetwas.
    »Ein bisschen müde, denke ich«,
ergänzte Yvette verunsichert.
    »Hab ich es nicht gesagt?«, rief
Schwester Beatrix triumphierend aus. »Das sind diese Bücher, die Sie immer
lesen. Die beunruhigen Sie viel zu sehr. Ich werde sie besser mitnehmen.«
    »Aber …«, sagte Yvette schwach.
Doch es war schon zu spät. Ihre Romane, das letzte bisschen Zerstreuung, das
ihr bisher noch zur Verfügung gestanden hatte, verschwand bereits in eine der
Schubladen des hungrigen Rollschränkchens.
    »Außerdem«, ergänzte die
Schwester vorwurfsvoll »hat der Doktor gesagt, Sie sollen liegen und nicht
sitzen.« Rüde zog sie ihr die zwei Kissen unter dem Oberkörper weg, die Yvette
gerade erst gestern bei einem der Pfleger erbettelt hatte, und verstaute sie ebenfalls
in dem Schränkchen.
    »So ist es schon viel besser«,
sagte die Schwester zufrieden und ergriff Yvettes Handgelenk, um ihr eine Manschette
anzulegen, die sie derart aufpumpte, dass Yvettes Arm zu kribbeln begann, und
maß ihren Blutdruck. Kaum ließ sie den Druck ab, schüttelte sie bereits den
Kopf. »Viel zu hoch. Ich fürchte, wir werden nicht mehr um Betablocker
herumkommen.« Ihre Stimme triefte vor falschem Bedauern, während aus ihren
Augen die Vorfreude blitzte. Schon beugte sie sich über ihr Schränkchen und
begann ein Injektionsbesteck zusammenzufügen.
    »Aber, müsste das nicht der
Doktor entscheiden?«, fragte Yvette, während sie beklommen die erschreckend
dicke Nadel betrachtete, die Schwester Beatrix auf
die Spritze pflanzte.
    »Sie müssen mir schon vertrauen,
Kindchen.« Sie legte die fertig vorbereitete Spritze in eine Nierenschale und
griff sich einen Tupfer.
    »Aber … Ich will keine
Medikamente. Mir geht es gut«, protestierte Yvette.
    Schwester Beatrix band ihr
ungerührt den Arm ab und desinfizierte ihre Ellenbeuge mit einem Spray. Der
starke Geruch des Alkohols trieb Yvette die Tränen in die Augen. Die Schwester
tastete Yvettes Arm nach einer Ader ab, als handelte es sich um ein Stück
Fleisch.
    »Ich habe gesagt, ich will kein
Beruhigungsmittel!«
    Sie erschrak vor ihrer eigenen
Lautstärke und dem schrillen Tonfall ihrer Stimme.
    Der Blick der Schwester war voll
mütterlichem Tadel. »Werden Sie jetzt nicht hysterisch. Ich will Ihnen doch nur
helfen, Kindchen.«
    »Ich will sofort den Stationsarzt
sprechen!«
    »Alles zu seiner Zeit.«
    Das Lächeln von Schwester Beatrix
hatte die Freundlichkeit einer Kobra. Bevor Yvette reagieren konnte, hatte sie
den Arm ihrer Patientin in eine Schlaufe bugsiert, die bis dahin schlaff vom
Bettgestell gehangen hatte, und zurrte sie mit rabiater Gewalt fest.
    Yvette versuchte, der sich
nähernden Nadel auszuweichen, aber die Fixierung und der Kraftverlust, den ihr
die lange Bettlägerigkeit
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