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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume
Autoren: Maurizio Temporin
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Leben.
    »Und? Wie war der Abend mit dem schönen Esteban?«, fragte sie mich mit hochgezogener Augenbraue. »Warte – lass mich meine hellseherische Gabe nutzen …« Sie legte eine Hand auf ihre Stirn, als müsse sie sich konzentrieren: »Ein totaler Scheiß! Hab ich recht?«
    »Volle Punktzahl. Aber ich glaube nicht, dass man übersinnliche Kräfte braucht, um das herauszufinden – es genügt, mich anzusehen«, antwortete ich, während ich den Kaffee austrank und den Becher dann in einen Abfalleimer warf. »Ich bin eingeschlafen, bevor wir überhaupt angefangen haben, uns zu unterhalten.«
    »Pah. Wenn es dich tröstet: Dir sind lediglich Gespräche über Fußball, Motorräder und diversen anderen Blödsinn entgangen.«
    »Sagen deine hellseherischen Fähigkeiten das auch?«, fragte ich, als wir am anderen Ende des Parks angelangt waren.
    »Nein, das sind die Erkenntnisse einer Frau, die einfach mit Jungs reden kann.«
    Christine überquerte bei Rot die Straße, ich wartete, bis es grün wurde. Wir gingen an geschlossenen Geschäften vorbei. Hin und wieder blieben wir stehen, warfen einen Blick in ein Schaufenster und machten eine imaginäre Liste der Kleider, die Christine niemals anziehen würde. Ich sagte immer: »Schau mal, das da ist super!«
    Und sie sagte dann: »Nein.« Oder: »Ja, damit würdest du eine tolle Figur abgeben, wenn es gerade Mode wäre, sich in Geschenkpapier zu hüllen!«
    Wir brauchten eine halbe Stunde für den Weg, den man schnelleren Schritts in zehn Minuten hätte zurücklegen können. Doch irgendwann kamen wir zu meinem Haus. Das grüne Kreuz leuchtete und beschien die ganze Straßenkreuzung – ich wohne über der Apotheke meiner Mutter.
    Bevor ich hineinging, erzählte ich Christine, dass Esteban mir sogar die Rechnung überlassen hatte. Ich erwartete, dass sie schimpfte – doch sie lachte nur.
    »Wirklich witzig!«, gab ich zurück, nahm den Schlüssel und schloss die Tür auf.
    Wir gingen die Treppen hoch. Ich sagte zu Christine, dass sie nicht leise sein müsse, meine Mutter sei sicher mit irgendeinem neuen Verehrer ausgegangen. Dann schaltete ich das Licht an, und wir warfen unsere Jacken aufs Sofa.
    Bevor meine Freundin sich setzen, den Fernseher einschalten und nach einem Musiksender zappen konnte, fiel mir etwas ein: »Christine! Ich habe vergessen, dir die Neuigkeit zu zeigen!«
    Sie sah mich perplex an.
    »Thara … Neuigkeit … Zwei Wörter, die nicht zusammenpassen. Dich nervt es ja schon, wenn sie die Erkennungsmelodie einer Fernsehserie ändern.«
    Ich packte sie am Arm, schleppte sie in mein Zimmer und drückte den Lichtschalter.
    »Stark! Ganz in Schwarz hätte es mir allerdings noch besser gefallen«, rief sie aus.
    In den zwei Tagen vor der Verabredung mit Esteban war ich so aufgeregt gewesen, dass ich mich irgendwie hatte austoben müssen. Malen war schon immer eine meiner Leidenschaften gewesen, und ich hatte beschlossen, meinem Zimmer einen neuen Look zu verpassen. Ich hatte die Wände gestrichen und überall violette Iris aufgemalt – von jeher meine Lieblingsblumen. Sie hatten die Farbe meiner Augen und – Zufall oder nicht: Der Name der Schwertliliengattung und die Bezeichnung der Regenbogenhaut des Auges sind ein und dasselbe Wort.
    Ich erklärte Christine, warum ich diese Veränderung gebraucht hatte, und gleich darauf überkam mich wieder diese unermessliche Traurigkeit. Wir setzten uns aufs Bett, sie legte mir eine Hand auf die Schulter.
    »Weißt du, Thara … ich bin nicht gut in diesen Dingen, aber wenn ich am Boden zerstört bin, mache ich immer eins …«
    Ich sah sie an und hoffte auf eine erhellende Antwort. »Was denn?«
    »Entweder mischen wir Eis, Schokolade, Erdnussbutter und Popcorn in einer Schale zusammen und essen alles auf, oder …«
    Zehn Minuten später saßen wir auf dem Dachsims, rissen Seiten aus unserem Mathebuch, knüllten sie zusammen und warfen sie auf die Straße.
    »Irre! Das gibt mir jedes Mal einen Kick!«, sagte Christine und blickte hinunter. »Wer rechnet jetzt mit wem ab? Ich mit dir oder du mit mir?« Sie hielt sich das Buch ans Ohr, als würde es mit ihr sprechen: »Was, was? Du willst auch was dazu sagen? Komm, friss diese Formel!«
    Sie fletschte die Zähne, riss die nächste Seite heraus und schleuderte sie weit von sich. Zum Glück hatte ich ihr das Mathebuch vom vorigen Jahr gegeben.
    Am Ende hatte auch ich bei der Bestrafung der Arithmetik mitgemacht und mich tatsächlich ein bisschen besser gefühlt. Etwas
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