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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume
Autoren: Maurizio Temporin
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hatte ich ja schon Schwierigkeiten, beim Gehen wach zu bleiben – aufmerksam dazusitzen war praktisch unmöglich. Und all der Kaffee, die Cola und die anderen Energiedrinks, die ich ständig trank, machten mich hypernervös.
    Als die Pausenglocke läutete, gingen wir hinaus und vertraten uns im Garten ein wenig die Beine. Gerade waren die ersten Frühlingstage angebrochen, die Schule würde bald zu Ende sein, und die Sonne schien uns aufzufordern, schneller zu laufen, um dem Sommer zuvorzukommen. Ich atmete die frische Luft tief ein.
    Blumenduft.
    Und Zigarettenqualm.
    Ich wandte mich um. Die Tussengruppe stand neben dem Schultor und bewunderte Esteban andächtig. Ich nahm Christine am Arm und wollte sie wegziehen.
    »Was zum Teufel machst du da?«, fragte sie und wich vor mir zurück.
    »Ich will nicht, dass sie mich sehen!«
    Christine schüttelte lachend den Kopf.
    »Was kümmern die dich denn? Sie werden erwachsen, heiraten, haben Kinder, vielleicht werden sie alt und dann sterben sie. Ende der Geschichte. Davor lesen sie ein paar billige Liebesschmonzetten und meinen, sie wären supercool. Wir aber werden ein unvergessliches Leben haben und …«
    Ich fiel ihr ins Wort: »Okay, aber hast du das Gelächter gehört, als ich heute Morgen in die Schule gekommen bin? Ich will nicht, dass sich diese Szene wiederholt.«
    »Ich habe kein Problem damit, eine an den Haaren zu packen, wenn du das möchtest. Willst du dir eine aussuchen? Zählen wir sie ab? Oder hast du eine Bestimmte im Sinn?«
    »Lass nur, das lohnt sich nicht.«
    Christine ließ es gut sein. Sie hatte begriffen, dass ich an diesem Tag nicht in der Stimmung für ihren Sarkasmus war.
    »Los, komm, ich muss dir was zeigen. Sagen wir, … eine kleine Revanche.«
    Ich folgte ihr mit zweifelnder Miene. Sie hatte es sonst nur selten so eilig.
    Wir setzten uns auf das Mäuerchen vor dem Parkplatz. Sie sagte, wir müssten nur warten. Währenddessen nahm sie ein Tramezzino aus ihrer Tasche und teilte es mit mir. Es vergingen zehn Minuten, dann kam Esteban aus dem Park. Christine aß ruhig weiter, während ich instinktiv versuchte, mein Gesicht hinter der dreieckigen Brotscheibe zu verstecken.
    Auf einmal hörte ich wütendes Geschrei und ließ das Brot sinken, um die Szene verstohlen zu beobachten. Esteban kniete vor seinem Motorrad. Er raufte sich die Haare und weinte, als sei die größte Katastrophe seines Lebens eingetreten.
    Die Reifen seines geliebten Motorrads waren aufgeschlitzt, und an der Karosserie waren überall Herzchen eingeritzt.
    Schockiert wandte ich mich an Christine: »Sag mir, dass du damit nichts zu tun hast!«
    Christine aß in aller Ruhe weiter. »Soll ich jemand anderem die Lorbeeren für dieses Meisterwerk überlassen? Nein, kommt gar nicht infrage!«
    Ich strich mir übers Gesicht. Ich spürte, dass nur noch wenig fehlte und ich bekäme einen Nervenzusammenbruch.
    »Bleib locker«, beruhigte mich Christine mit gleichmütiger Miene. »Von all den Mädchen, mit denen er ausgeht, bist du am wenigsten verdächtig.«
    Dennoch bestand ich darauf, dass wir uns verkrümelten. Während Christine seufzte und jammerte, dass man ihr immer das Ende des Films verdarb, gingen wir zurück in den Park.
    Ich muss zugeben, dass meine Schuldgefühle nach der anfänglichen Panik restlos verflogen waren. Ich drehte mich um, um ein letztes Mal Estebans Anfall auszukosten. Er war immer noch am Ort seines Unglücks und wälzte sich auf dem Asphalt. Ich stieß einen Lacher aus, und in jenem Moment kümmerte es mich eigentlich nicht mehr, ob Esteban mich hörte oder nicht. Ich hätte nie den Mut gehabt, sein Motorrad zu ruinieren, aber zum Glück war Christine jemand, der in die Tat umsetzte, was ich noch nicht einmal zu Ende denken konnte.
    »Christine, ich hätte nie damit gerechnet, dass ich dir eines Tages für einen Akt von Vandalismus danken würde!«
    »Immer gerne«, gab sie zurück, »solange es kein Mord ist …«
    Wir blieben im Park und genossen die letzten Minuten in Freiheit, bevor wir in unsere kleinen Zellen in Form von Schulbänken zurückkehrten.
    Ich konnte nicht sagen, dass ich die Schule generell hasste – auch weil ihr das Verdienst zukam, Christine und mich zusammengebracht zu haben. Doch ich verspürte Widerwillen. Lernen sollte eine Freude sein; es war schön, Neues zu erfahren, aber die Art und Weise, wie der Unterricht gehalten wurde, war einfach grauenvoll. Die Lehrer schafften es sogar, einem die Literatur zu verleiden. Ich konnte
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