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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume
Autoren: Maurizio Temporin
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Schulgebäudes entlang bis zu der Holztafel, die die Schule zur Verfügung gestellt hatte. Dort waren die unterschiedlichsten Annoncen angepinnt: Einer versuchte, ein offensichtlich kaputtes Motorrad zu verkaufen und pries es an wie eine Antiquität. Ein anderer wollte unter dem Vorwand, ein Zimmer zu vermieten, Mädchen abschleppen – allerdings nur die gut aussehenden. Wieder ein anderer verkaufte Lösungen für Prüfungsaufgaben und anderen Unsinn. Es hätte mich nicht gewundert, auch noch die Anzeige eines Serienmörders zu finden.
    Ich seufzte. Vielleicht hatte Christine recht. Doch ich brauchte Geld und ich hatte wirklich nicht die Absicht, meine Mutter anzubetteln.
    In allen Fächern lag ich ein wenig über dem Durchschnitt, aber in Latein war ich wirklich gut, also hatte ich mich entschlossen, Nachhilfe anzubieten. Ich nahm einen Flyer aus meiner Schultasche und pinnte ihn mit zwei Heftzwecken an das schwarze Brett.
    »Nicht schlecht«, sagte Christine, als sie sich den Text durchlas. »Wenn es dir gelingt, zwei Schüler am Tag für fünf Stunden zu bekommen …«, sie legte einen Finger an die Lippen, »mal sehen – dann kannst du dir in fünfzig Jahren eine halbwegs tolle Jacht leisten.«
    »Mir reicht es schon, wenn ich meine kleinen Ausgaben bestreiten kann«, antwortete ich und besah mir voller Stolz meine Anzeige.
    »Und du willst hier einfach deine Telefonnummer für alle sichtbar stehen lassen?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Es ist die Nummer der Apotheke meiner Mutter, von mir habe ich nur die E-Mail-Adresse angegeben.«
    »Na gut«, sagte sie und drehte sich um. »Latein ist eine tote Sprache – vielleicht solltest du auch noch ein paar Flyer auf den Friedhof legen.«
    »Es gibt keine toten Sprachen«, widersprach ich, »es gibt nur erloschene Gehirne«, und folgte ihr.
    Wir gingen gerade durch das Tor, überzeugt, die Letzten zu sein, die die Schule verließen, als wir spürten, wie sich jemand auf unsere Schultern stützte.
    »He, Mädels! Was erzählt man sich denn da?«, erklang Leos Stimme. »Ich habe von dem tollen Abend gehört. Tut mir leid, Thara – hättest du mich vorher gefragt, ich hätte dir gleich gesagt, dass du Esteban in den Wind schießen kannst.«
    Christine ging seufzend weiter und zuckte mit den Schultern. »Wenn du nicht gleich deine Hand da wegnimmst, schießen wir dich auch gleich irgendwohin.«
    Leo wich zurück und streckte die Arme von sich.
    »He, he! Schon um diese Zeit schlechte Laune? Ich empfehle einen Kamillentee mit Vanille, er beruhigt die Nerven, glättet Falten …«
    Christine drehte sich um und versetzte ihm einen Schlag gegen den Brustkorb. Während ich meine Thermoskanne aus der Schultasche nahm, versuchte ich zu schlichten, bevor es zu einer Rauferei kommen würde.
    »Das mit den Beruhigungsmitteln lasst mal lieber schön bleiben. Ihr bräuchtet ja wohl eher eine Elefantendosis. Wollt ihr auch einen Schluck Kaffee?«
    Wir lehnten ab, wobei jeder in eine andere Richtung blickte. Ich lächelte, zog die Augenbrauen hoch und nahm einen Schluck.
    Leo zog mich auf die Seite, um mir ein paar DVD -Raubkopien zu zeigen, die er aus dem Internet heruntergeladen hatte. Schon die Filmtitel waren so furchterregend, dass ich gar nicht wissen wollte, worum es dabei ging. Atomkrebse hieß es da, oder: Öffnet diese Tür nicht, es zieht … Doch Leo sah mich mit seinem treuherzigen Welpenblick an, und ich wollte nicht, dass er auf meine Schuhe sabberte.
    »Na gut. Heute Abend sehen wir uns einen an«, sagte ich großzügig.
    »Toll!«, rief er hüpfend.
    Leo war ein hübscher Junge, aber er hatte so einige Probleme mit Mädchen, genau wie Christine. Vielleicht dachte ich deshalb, dass sie ein perfektes Paar wären.
    Auf dem Nachhauseweg trank ich den restlichen Kaffee. Wir wohnten alle drei im selben Viertel am Stadtrand, wo, eingefasst zwischen hohen, modernen Wohnblöcken, ein paar alte, kleine Landvillen standen.
    Eine Villa gefiel mir besonders. Sie sah aus wie das Haus der Addams-Family: Es hatte ein Türmchen und war von einem Lattenzaun umgeben. Aber es hatte nichts Düsteres an sich, im Gegenteil, es war weiß getüncht, und an den Fenstern hingen blaue Vorhänge.
    Immer wenn wir daran vorbeikamen, blieb ich fasziniert stehen, zog meine Sonnenbrille ab und ließ meine Augen leuchten – wie der Anblick, der sich ihnen bot.
    Der Garten – ein Rasen, so perfekt, als wäre er mit Kamm und Schere bearbeitet worden – war voller Iris.
    Normalerweise gab es davon
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