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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume
Autoren: Maurizio Temporin
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Theater.
    »Ich glaube, wir sollten jetzt gehen«, sagte ich, ging zu Nate und nahm seine Hand.
    »Ja. Ja, das glaube ich auch«, meinte Kolor. »Nach zwanzig Jahren …«
    Er streckte die Hand aus, und vor unseren Augen geschah etwas Unglaubliches. Seine Nägel wuchsen unmäßig, gerade und scharf wie Klingen. Er zwinkerte uns zu und gewann wieder ein wenig von seinem alten Zauber zurück.
    »Ein paar Tricks kann ich auch!«
    Und mit einer Handbewegung schlug er mit seinen Nägeln wie mit einem Spaten den Stalagmiten dort durch, wo Ludkars Körper aufgepfählt gewesen war. Der Steinkegel wackelte und prallte an die Wand, in der sich das mondähnliche Loch befand.
    Die Öffnung verlor ihre Rundung und wurde zu einem breiten Spalt, durch den gleißend die Sonne fiel. Die Höhle erstrahlte in einem nie dagewesenen Licht. Die kalkhaltigen Wände, die zuvor im Schatten dahingedämmert waren, wurden hell, und die Wassergumpen glitzerten wie von heiligem Leben erfüllt.
    Wir gingen zu dem Stalagmit und kletterten nacheinander darüber wie über einen Steg.
    Leonard und Christine verließen die Höhle als Erste und tauchten im hellen Licht wieder auf. Mich und Nate hielt Kolor noch kurz zurück.
    Er legte einen Arm auf meine Schulter, den anderen auf die von Nate und sagte mit starrem Blick die Worte, die ich nie vergessen werde.
    Worte, nach denen ich nunmehr leben will und nach denen ich mein ganzes Leben gelebt habe, ohne es zu wissen:
    »Denkt immer daran … Denkt immer daran, dass der Mond ein Loch im Himmel ist, durch das wir das Licht sehen können, das Licht des nächsten Tages.«
    Und wir verloren uns in der Welt.
    Vor der Grotte wartete all die Zeit auf uns, die wir noch nicht hatten erkunden können.

Die Trauerfeier für Charles fand an einem Regentag statt. Vielleicht hatte der Himmel gemeint, unsere Tränen würden nicht genügen. Vielleicht hatte er recht.
    Nate und ich standen dicht nebeneinander unter einem Schirm. Ich sah ihn liebevoll an. Er hatte die Augen starr auf den Sarg gerichtet. Ich wusste nicht, ob es an seinem neuen Körper lag, dass er nicht weinen konnte, oder ob er nichts empfand. Ich drückte ihn fest. Seine Lippen bewegten sich kaum.
    Neben ihm stand Sally, meine Mutter hielt sie im Arm.
    Auch Leonard und Christine starrten stumm auf den Sarg.
    Mein Vater hatte es aus diversen Gründen vorgezogen, nicht zu erscheinen.
    Als die Zeit zum letzten Gruß gekommen war, warf jeder Trauergast eine Iris ins Grab.
    Wir blieben alle bis zum Schluss.
    Irgendwann gab Nate mir den Schirm und nahm im strömenden Regen eine Schaufel. Es rührte mich, zu sehen, wie er seinen Vater mit Erde bedeckte. Im Grunde war es das Letzte, was sie zusammen tun konnten.
    Sally kam zu mir – sie sah mich nicht an, ihr Blick war leer – und drückte mir Charles’ Fliege in die Hand. Ich versprach ihr, sie immer in Ehren zu halten.
    Doch nicht nur ihre Augen waren merkwürdig.
    Während ich Nate beim Schaufeln zusah, hatte ich kurz den Eindruck, seine Pupillen seien schwarz, doch ich dachte, es sei nur eine Wolke, die über seinen Blick zog.
    Und gleich darauf war der Regenbogen tatsächlich wieder da.
    Die Trauerfeier für Charles fand an einem Regentag statt. Vielleicht hatte der Himmel gemeint, unsere Tränen würden nicht genügen. Vielleicht hatte er recht.
    Aber die Regentage sollten erst noch kommen.
    An einem zukünftigen Himmel braute sich das Unwetter zusammen.

Das Schöne an einem Buch ist, dass man die Danksagung übergehen kann. Deshalb gibt es an dieser Stelle nur Entschuldigungen.
    Ich entschuldige mich öffentlich bei Igor Della Libera, meinem langjährigen lieben Freund und Kollegen und einem der wenigen, der mich noch durch seine Ideen und seinen unbändigen Zynismus mir gegenüber erstaunen kann.
    Ich entschuldige mich bei Ana Carlota Pacunayen, sie hat mir Gesellschaft geleistet in all den langen Nächten der Dunkelheit in meinem Arbeitszimmer, die sie mit Kaffee, Liebenswürdigkeiten und Scherzen aufgelockert hat.
    Ich entschuldige mich bei Vicki Satlow, meiner unfehlbaren Literatur(geheim)agentin. Über sie gibt es Folgendes zu sagen: Es gibt Frauen, die dir Angst machen, weil sie schön sind, andere machen dir Angst, weil sie deine Mutter sind, und dann gibt es noch Vickie: Sie macht dir Angst, weil sie darüber hinaus auch noch alles andere ist.
    Ich entschuldige mich bei Maria Chiara Bettazzi, meiner Verlegerin, die, obwohl sie mich und mein literarisches Schaffen kennt, unerschütterlich
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