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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume
Autoren: Maurizio Temporin
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bevor ich Ludkar noch davon abbringen konnte, hatte er ihn schon umgebracht.«
    Kolor nahm meine Hände und suchte Vergebung.
    »Ich konnte Nate nicht retten, aber wenigstens war meine Existenz insoweit zu etwas nütze, als ich Ludkar aufhalten konnte. Ich habe ihn mit meinen eigenen Händen gepfählt und in diese Grotte gebracht. Und seitdem bewache ich ihn. Solange sein Körper auf diesem Stalagmit steckt, kann er sich nicht regenerieren und nicht ins Leben zurückkehren – er kann nicht länger Böses tun.«
    Ich ließ ihm Zeit zu seufzen, musste ihn aber schweren Herzens darüber aufklären, dass er sich irrte.
    »So ist es leider nicht«, sagte ich. »Ludkars und Nates Seele sind in einer Parallelwelt gefangen. Und Ludkar kann durch das Feuer auf die Erde kommen.«
    »Was?«, fragte mein Vater.
    »Es ist kompliziert … Jedenfalls müssen wir seinen Körper zerstören, bevor er hierherkommt und uns alle tötet.«
    Kolor sah mich schweigend an, dann zog er seine dünnen Augenbrauen hoch.
    »Aber den Körper eines Vampirs kann man nicht zerstören. Das geht gar nicht.«
    Dasselbe hatte Ludkar auch gesagt. Wieder und wieder. Aber ich fragte mich, warum er solche Angst davor gehabt hatte, dass wir ihn zuerst finden könnten. Vielleicht war es gar keine Angst gewesen. Vielleicht hatte er mich nur quälen wollen.
    In diesem Augenblick hörte ich Christine und Leonard schreien.
    Ich fuhr herum.
    Das konnte nicht sein!
    Aus der Flamme der Fackel ragte ein Arm. Ein Arm! Das leibhaftige Böse hatte Leo am Hals gepackt.
    Eine Glutwelle des Grauen schlug mir voll ins Gesicht. Automatisch zog mein Vater mich an sich.
    »Du Teufel!«, schrie er mit der gefährlichen Ruhe eines Mannes, der unendlichen Groll hegte. »Geh in deine Hölle zurück!«
    Aus der Flamme kam nun auch eine Schulter, und man sah ein Profil. In der Hitze waberte ein schwarz grinsender Mund.
    »Mein lieber Freund, ich würde das Feuer einem Aschegestöber vorziehen.«
    Wut und Zorn hatten von mir Besitz ergriffen und trieben mich dazu, einen Schritt nach vorn zu machen und mich aus Kolors schützendem Griff zu befreien.
    »Ich kann das nicht glauben«, sagte ich leise, während Ludkars heiseres Lachen durch das Feuer drang und durch die Grotte hallte.
    »Ludkar!«, schrie mein Vater nun in einem so erbarmungslosen Tonfall, dass selbst ich erschrak. »Lass den Jungen los!«
    Aus dem Feuer drang eine donnernde Stimme: »Du hast mich vor siebzehn Jahren in dieses Loch gesperrt! Nur einen Schritt weiter, und ich breche eurem Freund den Hals.«
    Mein Vater sah mich an und sein Blick schien mich zu fragen, was er nun tun solle. Ich atmete tief durch. Die feuchte, stickige Luft der Höhle und der Benzingeruch vernebelten mir die Sinne. Dieses Monster hatte uns selbst diesen Moment verdorben, vielleicht den wichtigsten in meinem Leben, diesen einen Moment, der meinem Dasein endlich einen Sinn gab. Aber nun konnten wir nicht mehr zurück. Und Leos Leben in diesen schrecklichen Händen zu sehen, die in Körpern wühlten und sich Löcher gruben, wo sonst Herzen schlugen, ließ mich verstehen, dass dies meine Wirklichkeit war. Mein Vater war ein Vampir, ich war ein Dämmerwesen – zwar konnten wir wählen, ob wir Gutes oder Böses taten, aber in jedem Fall würden wir auf immer und ewig mit dem Bösen zu tun haben.
    »Was willst du, Ludkar?«, fragte ich.
    »Dass ihr meinen Körper befreit! Wie oft muss ich euch das denn noch sagen?«
    Ich ballte die Fäuste und trieb mein Gehirn zur Eile an. Wenn ich nicht wollte, dass Leo dasselbe Ende fand wie Charles, bestand die einzige Lösung darin, Ludkars Körper von dem Stalagmit zu befreien. Aber das durfte nur ein Ablenkungsmanöver sein. Ich musste ihn irgendwie täuschen. Andererseits war seine Intelligenz schärfer als seine Zähne. Also beschloss ich, mit offenen Karten zu spielen, wie Ludkar es verlangt hatte.
    »Tu, was er sagt«, sagte ich mit fester Stimme zu meinem Vater.
    Er sah mich an, als sei ich wahnsinnig. Wahrscheinlich betrachtete er Leos Tod als ein akzeptableres Opfer, als Ludkar frei in der Welt herumlaufen zu lassen. Für mich jedoch kam das überhaupt nicht infrage.
    »Aber, Thara! Hast du eine Ahnung, was …?«
    »Ja«, fiel ich ihm ins Wort. »Ich habe gesehen, wozu er fähig ist.« Dann machte ich Kolor ein Zeichen, zu mir zu kommen. »Lass ihn frei, vertrau mir. Ich muss kurz weg.«
    Ich sah Christine an, die auf die Knie gefallen war und sich die Hände vor den Mund geschlagen hatte. Ich gab
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