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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix
Autoren: Kai Meyer
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viel Kajal, sie mit spitzen Elfenohren. Der Weichzeichner ließ sie beide aussehen, als wäre das Foto bei Smog entstanden.
    Er schraubte den Verschluss der Flasche auf, prostete Epiphany zu und nahm einen tiefen Schluck.

3.
    Nachdem Ash das Wohnzimmer durchsucht hatte, gab sie einer alten Angewohnheit nach.
    Sie betrat das Bad und zückte vor dem Spiegel ihren violetten Lippenstift. Die Farbe stand ihr nicht, natürlich – und wem schon? Aber sie brachte ihr Glück, und das brauchte sie hier drinnen. Draußen würde man sie damit auf der Stelle feuern, sie würde sie vor dem Hinausgehen wieder abwischen.
    Während sie ihren Lippen nachzog, streifte ihr Blick Zahnpasta und andere Hygieneartikel. Beruhigend, dass selbst ein Filmstar mit Millionengagen die gleichen Marken benutzte wie sie selbst.
    Ein Kulturbeutel aus Leder stand mit geschlossenem Reißverschluss neben dem Waschbecken. Sie glaubte nicht, dass sie darin Geld finden würde, öffnete ihn aber dennoch. Rasierzeug, Cremes, ein Nagelset. Ein Etui mit einer Brille. Wussten seine Fans, dass er die brauchte? Sie konnte sich nicht erinnern, je ein Foto gesehen zu haben, auf dem er sie trug.
    Eines der Fächer war mit Medikamenten gefüllt. Zuoberst Aspirin und ein Antihistaminikum. Darunter die interessanteren Schachteln: Lithium, Carbamazepin und Lamotrigin. Das erste war ein Antidepressivum, die anderen beiden schluckten Epileptiker. In Kombination wurden alle drei gegen Borderline-Symptome eingesetzt. Der Arzt, zu dem Ashs Pflegeeltern sie geschleppt hatten, hatte ihr das gleiche Zeug verschrieben. Sie hatte sich geweigert, auch nur eine Pille zu schlucken. Seitdem lebte sie allein.
    Sie räumte die Packungen zurück in den Beutel, exakt so, wie sie alles vorgefunden hatte. Nie entging ihr ein Detail. Sie registrierte die Reihenfolge von Gegenständen und ihre Abstände. Ein Blick genügte ihr, um sich eine Zimmereinrichtung haargenau einzuprägen.
    Im Eingangsbereich der Suite blieb sie stehen und horchte auf Geräusche aus dem Flur. Nichts.
    Flüchtig strich ihre Hand über die Anhänger, die sie versteckt unter der Zimmermädchenuniform trug, eine Sammlung religiöser Symbole an Kettchen und Lederbändern: ein Davidstern, ein Kreuz, ein altägyptisches Anch, dazu das achtspeichige Rad des Buddhismus, ein Halbmond und der neunzackige Stern der Bahai . Hätte jemand sie gefragt, ob sie an Gott glaubte, an irgendeinen, hätte sie verneint. Aber sie ging auf Nummer sicher. Zumindest mangelndes Bemühen würde man ihr nicht vorwerfen können.

4.
    Die Aufzugtüren öffneten sich.
    Parker wollte die Kabine verlassen, als er bemerkte, dass er sich noch nicht im Dachgeschoss befand. Ein drahtiger, rothaariger Mann huschte in den Lift. Parker kannte ihn von irgendwoher.
    Der Aufzug setzte sich in Bewegung. Noch vier Etagen.
    »Verzeihen Sie, Mister Cale.« Der Mann sah nicht aus, als hätte er es auf ein Autogramm abgesehen. »Mein Name ist Graham Campbell.«
    Verdammt. Parker blickte zu den Ziffern über der Tür. »Sie hätten zur Pressekonferenz kommen sollen, Mister Campbell.«
    »Ich habe Ihren Auftritt im Fernsehen verfolgt.« Mit seinem maßgeschneiderten Anzug sah Campbell zumindest nicht aus wie ein schmieriger Klatschreporter. Parker hatte nie mehr als ein paar Worte mit ihm gewechselt, erinnerte sich aber an seine Artikel in der britischen Boulevardpresse. Campbell zitierte mit Vorliebe namenlose »Freunde« und andere »Vertraute«. Wie zum Henker war er an der Security vorbeigekommen?
    »Mein Mitarbeiter vor Ort«, sagte der Reporter, »hat mich auch über die Sätze informiert, die unsere Kollegen vom Fernsehen so früh am Abend dann lieber doch nicht senden wollten.«
    »Dafür stehen sie morgen früh in Ihrem Blatt, nehme ich an.« Eigentlich wusste Parker es besser. Mund halten. Kein Blickkontakt. Aber er war nicht in der Stimmung für Zurückhaltung. »Ich vermute, Sie zeichnen das hier auf?«
    Campbell deutete mit breitem Lächeln zur Sicherheitskamera unter der Decke der Liftkabine. »Das wird nicht nötig sein, denke ich.«
    Die vorletzte Etage.
    »Würden Sie mir verraten«, fragte der Reporter, »ob Ihr Vater bereits darüber Bescheid wusste, dass sie die Rolle hinschmeißen?«
    »Es gibt nur drei Romane. Wir haben alle verfilmt. Die Rolle existiert nicht mehr, jedenfalls nicht für mich.«
    »Es dürfte doch kein Problem sein, den Ghostwriter mit einem vierten Band zu beauftragen. Gibt es schon eine Reaktion Ihres Vaters?«
    Der Aufzug
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