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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix
Autoren: Kai Meyer
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Siegessicher.
    Als sich ihre Blicke trafen, zerstob für Sekundenbruchteile die Wirklichkeit vor Parkers Augen. Libatique stand noch immer an derselben Stelle, aber um ihn schien eine Bombe detoniert zu sein. Er war von einem Wall aus jungen, leblosen Leibern umgeben, unter- und übereinandergehäuft, in grotesken Umarmungen zu einer roten, glitzernden Masse verwoben. Und er lächelte noch immer. Lächelte und streckte Parker eine blutige Hand entgegen, um endlich ihren Pakt zu besiegeln.

64.
    Ash wollte stehen bleiben, als sie sah, was mit Parkers Gesicht geschah. Seine Züge, eben noch versteinert, gerieten in Bewegung und für einen Augenblick trat blanke Panik zum Vorschein.
    Die Menge drängte sie weiter, und es war unmöglich, auch nur für eine Sekunde innezuhalten. Wenn sie nicht zerquetscht oder niedergetrampelt werden wollte, musste sie ihren Weg fortsetzen.
    Sie bekam kaum Luft. Ihre Arme wurden an ihren Brustkorb gepresst, ihre Füße berührten den Boden nicht mehr. Zugleich fragte sie sich, ob das allgegenwärtige Kreischen nicht längst in Hilfeschreie umgeschlagen war und nur niemand es wahrnahm oder sich darum kümmerte.
    Die überforderten Bodyguards sprachen hektisch in ihre Headsets, während sie vergeblich versuchten, um Epiphany einen Freiraum zu schaffen. Die Schauspielerin aber lachte nur verzückt, wenn nach ihr gegriffen und getatscht wurde, schüttelte Hände, wo sie welche zu fassen bekam, berührte Glamour -Bücher, wie um sie zu segnen, und lachte noch lauter, glockenhell und bezaubernd, weil sie die Einzige war, die all das in vollen Zügen genoss. Für Ash sah es aus, als strahlte Epiphanys Haar noch heller, ihre Lippen leuchteten röter und sie wuchs inmitten der Menge, als schritte sie über Körper am Boden hinweg, zertrampelt zu Ehren ihrer Schönheit.
    Und dann stand da Libatique.
    Er musste die ganze Zeit über dort gewesen sein, verdeckt von all den erregten Grimassen, aber jetzt war es, als fielen die fremden Gesichter wie Masken von ihm ab. Ash erinnerte sich daran, wie sie einmal einen schwarzen wimmelnden Ball am Boden entdeckt hatte, und als sie einen Schritt darauf zugemacht hatte, waren Dutzende Fliegen aufgestoben und hatten das verfaulte Stück Fleisch darunter zum Vorschein gebracht. Genauso kam es ihr vor, als Libatique abrupt vor ihnen stand, näher noch an Epiphany als an ihr.
    Aber er sah nicht sie beide an, sondern hatte das Gesicht in Richtung Bühne gewandt und einen Arm dorthin ausgestreckt, über die Köpfe kreischender Mädchen hinweg, die ihn nicht wahrnahmen. Aus einem Schnitt in seiner Hand tropfte Blut und versickerte in der Menschenmenge.
    Als Ash seinem Blick folgte, befand sich Parker nicht mehr dort oben. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass der Moderator ununterbrochen in sein Mikrofon sprach und versuchte, die Lage zu beruhigen, aber seine Worte gingen im Stimmengetöse unter. Auch Lucien gestikulierte, um weitere Ordner herbeizurufen.
    Wo zum Teufel steckte Parker?
    Und dann verstand sie, warum er nicht mehr bei den anderen war. Ganz kurz sah sie ihn am Rand des Getümmels unterhalb der Bühne, sah, wie er in den Menschenstrom tauchte und sich einen Weg durch die Massen bahnte.
    Er kam herüber zu ihr.
    Nein, nicht zu ihr. Zu Libatique.
    Er kam, um die ausgestreckte Hand zu ergreifen.

65.
    Als die Ersten erkannten, dass auch Parker von der Bühne herabstieg und sich unter das Publikum mischte, gab es kein Halten mehr. Überall im Saal sprangen weitere Zuschauerinnen von ihren Plätzen, drängten durch die Reihen und strömten zu den hoffnungslos überfüllten Gängen zwischen den Blöcken. Bei vielen war Euphorie längst nicht mehr von Angst zu unterscheiden, mancherorts brach in der Enge Panik aus. Tränenüberströmte Gesichter wogten vor und zurück. Auf die verzweifelte Stimme des Moderators achtete längst keiner mehr. Alle Lichter an der Decke wurden eingeschaltet und die Notausgänge geöffnet, aber auch das interessierte niemanden.
    Parker hatte Libatique fast erreicht. In der linken Hand hielt er ein Mikrofon fest an seine Brust gepresst; die rechte streckte er ihm entgegen. Immer wieder griffen andere danach, wollten ihn anfassen, seine Haut an ihrer spüren, redeten auf ihn ein, aber Parker drängte weiter.
    Nur noch wenige Meter. Schon war er in den Pulk der jungen Mädchen vorgestoßen, aus dessen Mitte Libatique sich wie eine finstere Statue erhob. Von allen Seiten drängten weitere Menschen heran. Immer wieder überlagerte Libatiques
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