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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George
Autoren: Julian Barnes
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Vater.«
    Sein Vater seufzt. »Und wenn es so ist, George, warum ist es so?«
    »Warum ist was so, Vater?«
    »Dass sie stinken.«
    »Weil sie sich nicht waschen.«
    »Nein, George, wenn sie stinken, dann liegt das daran, dass sie arm sind. Wir haben das Glück, uns Seife und frische Wäsche leisten zu können und ein Bad zu besitzen und nicht in nächster Nähe zum Vieh zu leben. Sie sind die Elenden im Lande. Und sage mir, wen liebt Gott mehr, die Elenden im Lande oder die, welche voll falschen Stolzes sind?«
    Diese Frage ist leichter, auch wenn George mit der Antwort nicht recht einverstanden ist. »Die Elenden im Lande, Vater.«
    »Selig sind die Sanftmütigen, George. Du kennst die Stelle.«
    »Ja, Vater.«
    Doch etwas in Georges Innerem sträubt sich gegen diese Folgerung. Er glaubt nicht, dass Harry Boam und Arthur Aram sanftmütig sind. Auch kann er nicht glauben, dass nach Gottes ewigem Ratschluss für Seine Schöpfung Harry Boam und Arthur Aram am Ende das Erdreich besitzen sollen. Das würde Georges Gerechtigkeitsgefühl nun gar nicht entsprechen. Schließlich sind sie bloß stinkende Bauernjungen.

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Arthur
    Stonyhurst bot an, Arthur das Schulgeld zu erlassen, falls er sich zum Priester ausbilden lassen würde; doch die Mama lehnte das Angebot ab. Arthur war strebsam und konnte sehr wohl Verantwortung tragen; er galt bereits als künftiger Cricket-Kapitän. Doch sie hatte keins ihrer Kinder zum geistlichen Ratgeber ausersehen. Arthur wiederum wusste, dass er unmöglich für die versprochene goldene Brille, das samtene Kleid und den Platz am Kamin sorgen konnte, wenn er sich einem Leben in Armut und Gehorsam weihte.
    Seiner Ansicht nach waren die Jesuiten gar nicht so dumm. Sie hielten den Menschen für dem Wesen nach schwach, und ihr Misstrauen schien Arthur gerechtfertigt: Man schaue sich nur seinen eigenen Vater an. Sie hatten auch erkannt, dass Sündhaftigkeit schon früh beginnt. Die Jungen durften nie miteinander allein bleiben; auf Spaziergängen wurden sie stets von einem Lehrer begleitet, und jede Nacht wanderte eine schattenhafte Gestalt durch die Schlafsäle. Mochte die ständige Aufsicht auch Selbstachtung und Selbständigkeit untergraben, so hielt sie doch die an anderen Schulen grassierende Unmoral und Verrohung in engen Grenzen.
    Arthur glaubte ganz allgemein daran, dass es Gott gab, dass Jungen von der Sünde versucht wurden und dass die Patres recht daran taten, sie mit dem Tolley zu schlagen. Über einzelne Glaubenssätze disputierte er dann unter vier Augen mit seinem Freund Partridge. Partridge hatte großen Eindruck auf ihn gemacht, als er einmal unmittelbar hinter dem Wicket stand, einen von Arthurs schnellsten Würfen direkt aus der Luft fing, den Ball schneller fest in den Händen hielt, als man überhaupt gucken konnte, und sich dann umdrehte und so tat, als schaue er dem zur Boundary entschwindenden Ball hinterher. Partridge war stets zu Possen aufgelegt, und das nicht nur auf dem Cricketplatz.
    »Ist dir klar, dass die Doktrin von der Unbefleckten Empfängnis erst 1854 zum Glaubenssatz erhoben wurde?«
    »Etwas spät, würde ich meinen, Partridge.«
    »Denk nur: Die Kirche debattiert seit Jahrhunderten darüber, und es war nie Ketzerei, dieses Dogma zu leugnen. Jetzt plötzlich doch.«
    »Hmm.«
    »Warum beschließt Rom so lange nach dem Ereignis, die Beteiligung von Marias leiblichem Vater herunterzuspielen?«
    »Sachte, sachte, mein Freund.«
    Doch Partridge war bereits bei der Doktrin von der Päpstlichen Unfehlbarkeit, die erst fünf Jahre zuvor verkündet worden war. Warum sollten damit sämtliche Päpste der vergangenen Jahrhunderte implizit für fehlbar erklärt werden und alle gegenwärtigen wie auch künftigen Päpste zum Gegenteil? Ja, warum wohl, echote Arthur. Weil es, wie Partridge erwiderte, hier eher um Kirchenpolitik als um theologischen Fortschritt gehe. Es hänge alles damit zusammen, dass jetzt einflussreiche Jesuiten ganz oben im Vatikan säßen.
    »Du bist gesandt, um mich zu versuchen«, wehrte Arthur manchmal ab.
    »Im Gegenteil. Ich bin hier, um deinen Glauben zu stärken. Der Weg des wahren Gehorsams ist eigenständiges Denken innerhalb der Kirche. Immer, wenn die Kirche sich bedroht fühlt, verschärft sie die Regeln der Disziplin. Kurzfristig tut das seine Wirkung, auf Dauer aber nicht. Es ist dasselbe wie mit dem Tolley. Wenn man dich heute schlägt, lässt du dir morgen oder übermorgen nichts zuschulden kommen. Doch dass man sich sein Leben
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