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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George
Autoren: Julian Barnes
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war klein, das Geld knapp, die Mutter überarbeitet, der Vater ein Flattergeist. Schon früh leistete er einen kindlichen Schwur – und ein Schwur, das wusste er, war ewig bindend: »Wenn du alt bist, Mami, sollst du ein samtenes Kleid und eine goldene Brille haben und behaglich am Kamin sitzen.« Arthur sah den Anfang der Geschichte – dort, wo er jetzt war – und ihr glückliches Ende vor sich; nur die Mitte fehlte einstweilen noch.
    Hinweise darauf wollte er bei seinem Lieblingsschriftsteller Captain Mayne Reid finden. Er suchte in Die Grenzschützen oder Abenteuer in Mexiko. Er las Jagdzüge im Dschungel und Der Kriegs pfad und Der Reiter ohne Kopf . In seiner Vorstellung tummelten sich nun Büffel und Indianer neben Rittern in Kettenhemden und den Infanteristen von Packs Brigade. Sein liebstes Mayne-Reid-Buch war Die Skalpjäger: Eine Abenteuererzählung aus Arizona und Neumexiko . Noch wusste Arthur nicht recht, wie er die goldene Brille und das samtene Kleid beschaffen sollte, doch vermutlich war dazu eine gefahrvolle Reise nach Mexiko notwendig.

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George
    Einmal in der Woche geht er mit seiner Mutter Großonkel Compson besuchen. Der wohnt ganz in der Nähe hinter einer niedrigen Granitschwelle, die George nicht übertreten darf. Jede Woche erneuern sie die Blumen in seinem Krug. Great Wyrley war sechsundzwanzig Jahre lang Onkel Compsons Pfarrei; nun ist seine Seele im Himmel, während sein Körper im Kirchhof geblieben ist. Das erklärt ihm die Mutter, während sie die verdorrten Stiele aus dem Krug nimmt, das übel riechende Wasser fortschüttet und die frischen, weichen Blumen hineinstellt. Manchmal darf George ihr helfen, sauberes Wasser einzugießen. Sie sagt, übermäßige Trauer sei unchristlich, aber das kann George nicht verstehen.
    Nachdem der Großonkel in den Himmel aufgebrochen war, trat der Vater an seine Stelle. In einem Jahr heiratete er die Mutter, im nächsten bekam er seine Pfarrei, und im übernächsten wurde George geboren. So hat man es ihm erzählt, und das ist eine klare und wahre und glückliche Geschichte, wie eigentlich alles sein sollte. Da ist die Mutter, die in seinem Leben ständig gegenwärtig ist, die ihm die Buchstaben beibringt und ihm einen Gutenachtkuss gibt; und der Vater, der oft nicht da ist, weil er Alte und Kranke besucht oder seine Predigten schreibt und hält. Da ist das Pfarrhaus, die Kirche, das Haus, in dem die Mutter die Sonntagsschule abhält, der Garten, die Katze, die Hühner, die Rasenfläche, über die man vom Pfarrhaus zur Kirche geht, und der Kirchhof. Das ist Georges Welt, und er kennt sie gut.
    Im Innern des Pfarrhauses ist alles still. Es gibt Gebete, Bücher, Handarbeit. Man schreit nicht, man rennt nicht, man beschmutzt sich nicht. Manchmal ist das Feuer zu hören und auch das Besteck, wenn man es nicht richtig hält; und als sein Bruder Horace kommt, hört man den auch. Doch das sind Ausnahmen in einer Welt, die ebenso friedlich wie verlässlich ist. Die Welt jenseits des Pfarrhauses ist für George voller unerwarteter Geräusche und unerwarteter Geschehnisse. Als er vier Jahre alt ist, nimmt man ihn zu einem Spaziergang auf den Feldwegen mit und zeigt ihm eine Kuh. Die Größe des Tiers kann ihn nicht schrecken, auch nicht das pralle Euter, das vor seinen Augen wabbelt, wohl aber das jähe heisere Brüllen, das das Tier ohne ersichtlichen Grund von sich gibt. Es muss wohl sehr missgelaunt sein. George bricht in Tränen aus, während sein Vater die Kuh straft, indem er sie mit einem Stock schlägt. Dann dreht sich das Tier zur Seite, hebt den Schwanz und beschmutzt sich. George erstarrt, als dieser Erguss hervorbricht, als er mit einem merkwürdig platschenden Geräusch im Gras landet, als plötzlich alles außer Kontrolle geraten ist. Doch ehe er weiter darüber nachdenken kann, zieht ihn die Hand der Mutter fort.
    Nicht nur die Kuh oder die vielen Freunde der Kuh – wie das Pferd, das Schaf und das Schwein – machen George die Welt jenseits der Pfarrhausmauer verdächtig. Fast alles, was er darüber hört, flößt ihm Furcht ein. Diese Welt ist voller Menschen, die alt und krank und arm sind, und das ist alles nicht schön, wie die Haltung und die leise Stimme des Vaters bei seiner Rückkehr erkennen lassen; und voller Menschen, die Grubenwitwen heißen, ein Wort, das George nicht versteht. Jenseits der Mauer gibt es Jungen, die flunkern oder, schlimmer noch, durch und durch verlogen sind. Außerdem gibt es ganz in der Nähe etwas, das
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