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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht
Autoren: Kai Meyer
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und Flechten bewachsen.
    Florinda führte sie durch einen hohen Rundbogen unter dem vorderen Teil des Gebäudes hindurch. Nach dem Tortunnel – zehn Meter, auf denen es erstaunlich kühl wurde und nach schimmeligem Verputz roch – öffnete sich ein sonnenbeschienener Innenhof. In der Mitte befand sich ein großes Beet, ungepflegt und voller Unkraut. Das Haupthaus des Palazzo dahinter war höher als die drei anderen Flügel. Die gleichen Stuckverzierungen, Eisenbalkone und Bildhauereien wie an der Außenfassade. Zwei breite Steintreppen mit wuchtigen Geländern führten von rechts und links hinauf zum Haupteingang im ersten Stock. Ein Teil des halbrunden Portals stand offen.
    Florinda erkundigte sich nach dem Flug und dem Umsteigen in Rom; sie selbst halte die ganze Prozedur für eine Zumutung, sagte sie. Rosa konnte nur zustimmen.
    »Deine Schwester hat mir erzählt, dass du Vegetarierin bist«, sagte Florinda, während sie mit den beiden die Treppe zum Eingang hinaufstieg. Die Farbe der Türflügel war abgeblättert. Eine Eidechse huschte vor ihnen über das aufgeheizte Gestein und verschwand im Gebäude.
    »Schon seit Jahren.«
    »Ich kann mich nicht erinnern, schon mal von einem Alcantara gehört zu haben, der kein Fleisch mochte.«
    »Immerhin mag irgendwer hier keine Vögel.«
    Florinda schwieg, während sie die letzte Stufe nahm.
    Zoe warf Rosa einen Seitenblick zu. »Florinda stört das Gezwitscher. Die Gärtner sind angewiesen alle Nester aus den Bäumen zu holen. Alle paar Wochen werden sie verbrannt, im Brunnenbecken, damit die Flammen nicht außer Kontrolle geraten können. Waldbrände sind hier ein ziemliches Risiko. Lass dich nicht von dem Grün in dieser Gegend täuschen. Im Sommer ist die ganze Insel ungeheuer trocken, erst recht wenn der Scirocco aus Afrika übers Meer bläst.«
    »Scirocco?«
    »Heiße Winde aus den Wüsten. Oft bringen sie Sand aus der Sahara mit sich.« Sie hob die Schultern. »Schlecht für die Haut.«
    »Und die Nester –«
    » Nur die Nester«, kam ihre Tante ihr zuvor. »Nicht die Vögel.« Jetzt setzte sie wieder ihr gewinnendes Lächeln auf. »Ich bin kein Unmensch.«
    Sie betraten die Eingangshalle, die hoch und dunkel war und voller verblichenem Prunk. Florinda entschuldigte sich; sie müsse sich um die Vorbereitungen für das Abendessen kümmern. Offenbar kochte sie selbst. Vor acht Uhr, erklärte Zoe, nehme man auf Sizilien keine warme Mahlzeit zu sich.
    Sie führte Rosa eine Steintreppe mit ausgetretenen Teppichstufen hinauf, dann durch lange Korridore in den rückwärtigen Teil des Haupthauses. Unterwegs begegneten sie keiner Menschenseele.
    »Ich dachte, hier gibt es Angestellte.«
    »Nicht viele«, sagte Zoe. »Florinda mag keine Fremden im Haus. Das war bei den Alcantaras offenbar schon immer so, auch bei unseren Großeltern und Urgroßeltern. Vormittags kommen ein paar Frauen aus dem Dorf hinter dem Berg zum Saubermachen, aber keine von denen lebt hier im Haus. Die beiden Gärtner sind für ein paar Stunden am Nachmittag da, aber das reicht kaum, um das Nötigste zu erledigen.«
    »Vogelnester einsammeln?«
    Zoe zuckte die Achseln.
    Rosas Zimmer entpuppte sich zu ihrer Überraschung als heller, sonniger Raum, groß genug, um anderswo als Saal durchzugehen. Bis auf ein Himmelbett mit aufwendig geschnitzten Pfosten und eine antike Kommode mit marmornem Schminktisch war es leer. Eine Nebenkammer diente als begehbarer Kleiderschrank. Die Wände des Schlafzimmers waren mit alten Stofftapeten bedeckt. Neben der Tür hatte sich ein Stück gelöst, darunter kamen verblichene Malereien zum Vorschein.
    »Dann will ich mal einräumen.« Mit großer Geste warf Rosa ihre Reisetasche in das Nebenzimmer, wo sie zwischen den leeren Regalwänden und Schränken liegen blieb.
    Zoe redete ununterbrochen weiter. Von der Köchin, die manchmal allein kochte, oft aber auch nur Handreichungen erledigte, wenn Florinda sich persönlich der Zubereitung der Speisen widmete. Von dem Piloten des Helikopters, der in Piazza Armerina wohnte und eigentlich Automechaniker war. Und von den Wächtern, die in Florindas Auftrag durch die umliegenden Olivenhaine und Pinienwälder streiften.
    »Das heißt, dass neunzig Prozent der Zimmer leer stehen, oder?«
    »Eher fünfundneunzig. Nur nachts klingt es, als wären sie alle bewohnt. Es knackt und knirscht überall.«
    Rosa flüsterte: »Das trostlose Erwachen des Opiumessers aus seinem Rausch  … Vielleicht sollte ich mir die Fassade genauer ansehen
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