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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht
Autoren: Kai Meyer
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Carnevare.«
    Die Watte unter Rosas Füßen gab ein Stück nach.
    Familienangelegenheiten , hatte er gesagt.

Feindschaft
    S ie schlief bis weit in den Vormittag hinein. Nach dem Frühstück im Speisesaal erkundete sie das Gebäude. Im ersten Stock, dem primo nobile mit seinen Salons voller ausgebleichter Wandfresken und einem staubigen Ballsaal, begegnete sie einer der Haushälterinnen, die stundenweise versuchten, des Staubs der Jahrhunderte Herr zu werden. Die Frau grüßte einsilbig und huschte in einen der anderen Räume.
    Im zweiten Stock entdeckte sie am Ende eines langen Korridors Florindas Arbeitszimmer, einen weiten Saal mit dunklen Holztäfelungen. Es gab keine Tür, nur einen offenen Rundbogen, durch den sie geradewegs auf den Schreibtisch blickte. Ein schmiedeeiserner Balkon überschaute den Innenhof des Palazzo. Die Glastür stand offen. Draußen war es still, nur ein paar Zikaden zirpten in dem verwilderten Beet unten im Hof.
    Auf einem Seitentisch stand ein Computer. Rosa schaute sich um, und weil niemand da war, den sie hätte um Erlaubnis bitten müssen, setzte sie sich vor den Monitor. Als sie die Maus bewegte, erwachte er zum Leben.
    Von einer Torrentseite lud sie My Death auf Florindas Desktop und legte das Lied als Hintergrund auf ihre MySpace-Seite. Ihre Angaben hatte sie seit über einem Jahr nicht aktualisiert und ihre Freundesliste war so tot wie die Namen auf den Grabkammern der Familiengruft. Bei Facebook das Gleiche. Sie checkte Twitter und ihre Mails, fand ein paar von den Leuten, mit denen sie sporadisch übers Netz kommunizierte – und nur übers Netz –, hatte aber keine Lust zu antworten und schloss das Programm gleich wieder. Anschließend zog sie die Musikdatei in den Papierkorb und leerte ihn.
    Sie wollte gerade aufstehen und sich weiter im Palazzo umsehen, als ihr etwas einfiel. Sie öffnete abermals ihre MySpace-Seite, suchte in ihrem Profil und stieß auf den Satz »Wäre gern so selbstbewusst wie meine Schwester«. Es fühlte sich an, als hätte sie ihn vor hundert Jahren geschrieben, und sie erwog ihn zu löschen, zusammen mit all dem anderen Unsinn, der nichts mehr mit ihr zu tun hatte. Aber dann kam es ihr vor, als würde sie damit einen ganzen Menschen ausradieren, ihr altes Ich, die frühere Rosa von vor einem Jahr und davor.
    Es war albern und kindisch, aber sie brachte es nicht über sich, ihr Profil einfach auszukehren wie ein Zimmer, das zu lange nicht mehr betreten worden war. Die Tür dorthin würde sie nie wieder öffnen. Zugleich faszinierte sie etwas daran: Rosa, wie sie früher einmal war, würde im Internet weiterexistieren, als hätte sich nichts geändert. Als wäre die Welt nicht für einen Moment stehengeblieben, um sich dann in eine ganz neue Richtung zu drehen.
    Während Scott Walker vom Tod sang, starrte sie die Angaben einer Fremden an und ein Foto, auf dem sie sich alle Mühe gab, melancholisch und tiefgründig auszusehen. Mit einem Kopfschütteln ließ sie alles, wie es war, schloss den Browser ein zweites Mal und hatte das Gefühl, sich selbst gerade tief im Netz zu begraben, unter einer Granitplatte ohne Todestag.
    Draußen knirschte Kies unter Autoreifen, als ein Wagen auf den Innenhof fuhr. Möglich, dass es Florinda war, die von irgendwoher nach Hause kam; im Palazzo war Rosa ihr am Morgen nicht begegnet.
    Sie gab den Namen des verstorbenen Barons ins Suchfenster ein. Massimo Carnevare. Um sicherzugehen, schrieb sie dahinter den Ortsnamen, den sie in Alessandros Pass gelesen hatte. Genuardo.
    Eine Autotür wurde zugeschlagen. Eilige Schritte.
    Auf dem Bildschirm erschienen zahllose Einträge, die meisten im Zusammenhang mit allerlei Firmennamen. Der Großteilklang ehrbar und langweilig. Bauunternehmen, Import von Landwirtschaftsmaschinen, sogar eine Stiftung, die benachteiligte Kinder aus den Wohnsilos von Palermo und Catania unterstützte. Aber dazwischen auch Pressemeldungen über Gerichtsverhandlungen, Finanzskandale beim Bau von Regierungsgebäuden und angebliche Kontakte zu nordafrikanischen Drogenbaronen. All das hatte sie erwartet. Hätte sie Florindas Namen eingegeben, wären vermutlich ähnliche Stichworte aufgetaucht. Und Windräder, die sich niemals drehten.
    Sie löschte den Vornamen Massimo und ersetzte ihn durch Alessandro.
    Sie schaute kurz in Richtung des Eingangs, durch mehrere Räume bis zur anderen Seite des Flügels. Niemand zu sehen.
    Enter .
    Vor einem Jahr war Alessandro Mitglied der Leichtathletikmannschaft einer
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