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Argemí, Raúl

Argemí, Raúl

Titel: Argemí, Raúl
Autoren: Chamäleon Cacho
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keinem Thermometer zu messen war.
    Ich rannte. Ich rannte, als wäre der Teufel hinter meiner Seele her, mit der Tasche, während ich mir den weißen Kragen und die Hemdbrust herunterriss. Ich rannte, ging ein paar Schritte und rannte wieder, immer die Straße entlang, um mich so schnell wie möglich vom Hof zu entfernen. Bis Motorenlärm mir klarmachte, dass es langsam Zeit war, den Daumen rauszuhalten.
    » … der arme Carraspique war ziemlich betrunken und hat dich aus Mitleid mitgenommen. Er wusste nicht, dass sein Leben nicht mehr viel länger als zwei Bier dauern würde. Doch du hast Pech gehabt, Chamäleon, Leutnant Cacho und so weiter und so fort; der Fotograf von der Tageszeitung hat dich aufgenommen, weil er dachte, du wärst der verrückte Márquez.«
    Als würde er sie nicht mehr brauchen, warf er die Waffe mit einer Geste absoluten Vertrauens auf das andere Bett und stellte sich mit tief in den Taschen vergrabenen Händen daneben. Ein siegesgewisses Lächeln verzerrte seinen Mund.
    »Was hast du gebrummelt, als ich den Wandschirm beiseite geschoben habe und du entdeckt hast, dass der alte Márquez nicht mehr da ist?«
    Sein Schweinsgesicht lächelte, und ich hatte Lust, ihn zu töten. Doch ich sagte nichts.
    »Jetzt wo wir einander vertrauen, warum erzählst du mir nicht, wie du am Leben geblieben bist? Einer von damals hat mir geschworen, dass man dich auf dem letzten Flug des ›Kellers‹ mitnahm, nachdem man mich in ein anderes Verlies versetzt hatte.«
    »Man hat Sie angelogen …«, sagte ich und versuchte, die schrecklichen Erinnerungen zu verscheuchen, die in mein Gedächtnis zurückkehrten.
    Dieses Gefühl von Leere war wieder da. Der verzweifelte Widerstand gegen diejenigen, die mich zur offenen Tür stießen. Die Flugzeugtür und die Leere, die mich mit ihrem hungrigen grauen Maul, von Schaumkronen gesprenkelt, als wären es Zähne, verschlingen wollte, der Schlund, in den meine Kameraden aus dem ›Keller‹ gestürzt waren.
    Ich selbst hatte befohlen, die »Überläufer« auf ihrem letzten Flug zu begleiten. Vielleicht weil ich Zeuge sein wollte, dass alles vorbei war. Ich weiß es nicht; heute kann ich nicht mehr sagen, warum ich es getan habe. Neugier? Ich hatte mich versichert, dass sie die Injektion erhalten hatten. Ich half, sie auf den Lastwagen zu laden. Ich stand oben, als die Tür des Flugzeugs aufflog, mit einem heftigen Sog, der wild an unseren Kleidern zerrte.
    In die Leere hinausgebeugt und dem Nichts trotzend sah ich sie kraftlos hinabstürzen.
    Da versuchte jemand, mich hinauszustoßen. Und auf einmal war ich es, der kopfüber stürzte und gegen den Wind anzuschreien begann. Ich war es, der den Flugzeugkörper von unten sah, wie er sich vom weißen Himmel abhob, bevor mich das Seil plötzlich stoppte und meinen Sicherungsriemen spannte.
    Die Zeit, die ich an einer Nabelschnur durch die Luft schwebte, war endlos; als hätte mich dieses Tier aus Metall unfreiwillig geboren. Ich wusste, dass die, die mich gestoßen hatten, das Seil durchtrennen würden. Und ich wusste auch, dass sie alte Rechnungen zu begleichen hatten.
    Doch ich täuschte mich.
    Das Seil ruckte, und langsam wurde ich wieder hinaufgezogen. Ich erinnere mich, dass ich mir die Fingernägel abbrach, als ich auf der Türschwelle über das Metall schrammte. Und dass mich die Uniformierten mit einem Fausthieb empfingen, als ich den Fuß aufsetzte. Ein brutaler Fausthieb, der mich, den Mund voller Blut, zu Boden warf.
    Bevor ich das Bewusstsein verlor, schrie mir einer von ihnen ins Ohr: »Du hast Glück, du verdammtes Arschloch. Jemand da oben hält seine Hand über dich. Und das ist nicht der liebe Gott …«
    »Man hat Sie angelogen«, wiederholte ich und gewann unter Federicos forschendem Blick die Fassung zurück.
    »Sieht so aus … aber das spielt keine Rolle mehr«, sagte er mit einem kurzen Lachen, und gemächlich schloss er die Tür, um dann so nahe an mich heranzukommen, dass ich seinen Schweiß und seinen Atem riechen konnte.
    »Weißt du, was ich jetzt tun werde? Ich werde dich ganz langsam töten. Ich werde dich mit einem Kissen ersticken. Und das ist nicht alles. Ich hatte Zeit, darüber nachzudenken, während ich dir vom Bett des armen Márquez aus zugehört habe … Ich werde dafür sorgen, dass man dich nicht identifizieren kann und ohne Namen begräbt. Göttliche Gerechtigkeit für jemanden, der zu viele Personen war. Wenn wir also Bilanz ziehen, war Manuel Carraspique dein vorletzter Kriegsname. Wie
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