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Argemí, Raúl

Argemí, Raúl

Titel: Argemí, Raúl
Autoren: Chamäleon Cacho
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irgendeiner daher, der einem zeigt, was man für ein Idiot ist. Erinnerst du dich wirklich überhaupt nicht mehr an Leutnant Cacho?«
    »Nein, ich schwöre es.«
    »Das wundert mich nicht; an diesem Punkt wundert mich nichts mehr …«
    Er nahm einen letzten Zug und warf die Kippe in eine Ecke, ohne sie vorher auszudrücken. Dann begann er, am anderen Ende des Raums hin und her zu gehen.
    »Als man mich in den ›Keller‹ versetzte, dachte ich, ich sei vorbereitet: Der Guerilla musste man es geben, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, und mir würde die Hand dabei nicht zittern. Ich erinnere mich, dass Fußballweltmeisterschaft war …«
    »78, eine schlimme Zeit …«
    Er blieb einen Moment stehen und sah mich an, als hätte ich irgendwelches Ungeziefer im Gesicht. Dann atmete er tief durch, zündete sich eine weitere Zigarette an und sagte ganz ruhig: »Wenn du mich noch einmal unterbrichst, knall ich dich ab … Manuel.«
    Er meinte es ernst. Er war verrückt. Also bewegte ich nicht einmal die Augen.
    »Meine Ideale, Agatha Christie und der ganze Kram, sind beim Teufel. Typen mit Kapuzen, Frauen mit Kapuzen, Schwangere, die in den Ecken gebären mussten, inmitten der ganzen Scheiße in diesem furchtbaren Schweinestall. Und das Schwein, das es mehr als alle anderen genoss, war Leutnant Cacho. Dämmert es langsam?«
    Ich überlegte kurz und kam zu dem Schluss, dass es ein schlechtes Geschäft wäre, mein Wissen zu teilen: zum Beispiel, dass Cacho, der Dealer und Betrüger, sich in der Rolle gesehen hatte, wie er Leute mit dem Feuerwehrschlauch abspritzte. Deshalb sagte ich das einzig Richtige:
    »Nein.«
    »Dieses Arschloch. Dieses Stück Scheiße … er ließ sie im Glauben, er sei ein Leutnant der Armee und ihr Leben liege in seiner Hand. Und die Kapuzen glaubten ihm manchmal sogar, diese armen Teufel. Manchmal …«
    Er machte eine lange, eine sehr lange Pause und kaute an den Erinnerungen, die ihn zu meiner Überraschung so nah an das Chamäleon herangeführt hatten. Dann sagte er: »Das Beste daran ist, dass er es sogar selbst geglaubt hat.«
    Er schaute mich einen Moment lang mit der Tragik eines Inspektor Clouzot an und kratzte sich wütend an der Nasenspitze.
    »Die von der Gefängnisaufsicht hatten ihn aus irgendeinem Knast geholt. Für sie war er so etwas wie ein manischer Lügner, ein Betrüger, der auf Guerillero machte oder was ihm sonst gerade einfiel. Das war ein Fehler … ein riesiger Fehler«, sagte er und setzte sich wieder auf das Bett des Toten. »Der Typ war völlig durchgedreht, es war zum Fürchten. Außerdem tyrannisierte er uns alle, doch man konnte nichts gegen ihn unternehmen, er stand unter dem Schutz von ganz oben. Es hieß, er sei der missratene Sohn einer einflussreichen Familie und deshalb noch am Leben … Vielleicht war das ein Märchen, vielleicht auch nicht. Sicher ist, dass der Typ dazu in der Lage war, sich gemeinsam mit einem Guerillero foltern zu lassen, um sein Vertrauen zu gewinnen. Dann machte er aus ihm Hackfleisch wie kein Zweiter.«
    Ich sah, wie er kurzzeitig zu keuchen begann und sich leicht nach vorn beugte, als betrachte er zugleich seine Seele und seine Schuhe. Dann stand er wieder auf und ging langsam im Zimmer auf und ab. Er bewegte sich womöglich aus einem Reflex heraus, um festzustellen, ob er nicht ans Bett gefesselt war, und ich verbarg meine Hände unter den Laken.
    »Mein Kriegsname war Federico, und ich habe die Zeit nie vergessen können, in der mein Boss das Radio einschaltete, damit die von der Guerilla hören konnten, dass wir Fußballweltmeister geworden waren. Dass wir aufrecht und menschlich waren. Er hat das nicht mit böser Absicht getan, ganz und gar nicht! Es gab sogar welche mit Kapuze, die mitgrölten, wenn ein Tor fiel!«
    Eine lange Stille entstand, und ich dachte schon, Federico würde zu weinen anfangen. Aber er tat es nicht. Er nahm einen Kamm aus der Jackentasche und kämmte sich ungeniert, bis die Haare vom Schweiß an seinem Kopf klebten.
    »Dann kam die Demokratie, und man versuchte, einen guten Eindruck zu machen und für die Zukunft zu sorgen. Man versuchte außerdem, die Rache zu vergessen, die man sich geschworen hatte. Nachdem alles vorbei war, versicherte man mir, dass Leutnant Cacho hingerichtet worden sei; dass man ihn bei einem der letzten Flüge ins Meer geworfen habe. Das war normal bei Kollaborateuren, die zu viel wussten … Bis ich eines Tages das Foto sah. Ein miserables Foto in einem jämmerlichen
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