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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey
Autoren: Der perfekte Dreh
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gesagt. Am nächsten Sonntag besuchte sie bereits eine andere Synagoge und ließ jedermann in der Stadt wissen, warum.
    Er ärgerte sich mehr über sich selbst als über Benjamin. Er hätte nach Harvard reisen und seinem Sohn sagen müssen, daß sich an seiner Liebe zu ihm nichts geändert habe. Soviel zu seiner Fähigkeit zu vergeben.
    Er nahm sich den Brief wieder vor.
    Während dieser Jahre in Harvard hatte ich viele Freunde beiderlei Geschlechts, aber Christina ging mir selten länger als ein paar Stunden am Tag aus dem Sinn. In der Zeit in Boston schrieb ich mehr als vierzig Briefe an sie, schickte jedoch keinen ab. Ich rief sogar bei ihr an, es war jedoch nie ihre Stimme, die sich meldete. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich, wenn sie am Apparat gewesen wäre, überhaupt etwas gesagt hätte. Ich wollte sie nur einfach hören.
    Hat es Dich je interessiert, wer die Frauen in meinem Leben waren? Ich hatte Affären mit hochintelligenten Mädchen vom Radcliffe College, die Jura, Geschichte oder Naturwissenschaft studierten, einmal sogar mit einer Verkäuferin, die noch nie ein Buch angerührt hatte. Kannst Du Dir vorstellen, beim Liebesakt immer an eine andere Frau denken zu müssen? Ich schien auch meine Arbeit wie von fremder Hand gesteuert zu erledigen und selbst meine Leidenschaft für den Sport beschränkte sich nur noch auf eine Stunde Joggen täglich.
    Lange vor dem Ende meines letzten Jahres tauchten in der Hochschule Vertreter führender Anwaltsfirmen aus New York, Chicago und Toronto auf, um Jobinterviews mit uns durchzuführen. Man kann sich darauf verlassen, daß die Trommeln von Harvard in der ganzen Welt zu hören sind, aber selbst ich war überrascht von dem Besuch des Seniorchefs von Graham, Douglas & Wilkins aus Toronto. Es ist keine Firma, die dafür bekannt wäre, jüdische Teilhaber zu besitzen, mir gefiel jedoch der Gedanke, daß in ihrem Briefkopf eines Tages »Graham, Douglas, Wilkins & Rosenthal« stehen würde. Bestimmt wäre sogar Christinas Vater davon beeindruckt gewesen.
    Wenn ich – so redete ich mir ein – in Toronto lebte und arbeitete, würde ich wenigstens weit genug weg sein, um sie zu vergessen, und mit etwas Glück vielleicht eine Frau kennenlernen, für die ich ähnlich empfinden könnte.
    Graham, Douglas & Wilkins fanden eine geräumige Wohnung für mich, von der man den Park überblicken konnte, und gaben mir ein stattliches Anfangsgehalt. Als Gegenleistung arbeitete ich zu allen Stunden, die Gott – wer immer das sein mag – geschaffen hat. Ich hatte geglaubt, sie hätten mich an der McGill-Universität oder in Harvard ordentlich gefordert, Vater, doch das war, wie sich jetzt herausstellte, nur ein Probelauf für das wirkliche Leben gewesen. Ich beklage mich nicht. Die Arbeit war interessant, und der Lohn übertraf alle meine Erwartungen. Nur – jetzt, wo ich mir einen Thunderbird leisten konnte, wollte ich keinen mehr.
    Neue Freundinnen kamen – und gingen, sobald sie anfingen, von Heirat zu reden. Die Jüdinnen unter ihnen brachten das Thema gewöhnlich bereits innerhalb einer Woche zur Sprache, wogegen die Christinnen, wie ich herausfand, ein wenig länger damit warteten. Mit einer von ihnen, Rebecca Wertz, lebte ich sogar zusammen, aber auch das ging in Brüche, und zwar an einem Donnerstag.
    An jenem Morgen fuhr ich gerade zum Büro – es muß kurz nach acht gewesen sein, was spät für mich war –, als ich Christina auf der anderen Seite der belebten Straße entdeckte. Uns trennte nichts als eine Fahrbahn voneinander. Sie stand an einer Bushaltestelle und hielt einen kleinen Jungen an der Hand, der ungefähr fünf Jahre alt sein mußte: meinen Sohn.
    Der starke Morgenverkehr erlaubte es mir, noch ein wenig länger ungläubig hinzustarren. Ich merkte, wie ich versuchte, das Bild beider zugleich in mich aufzunehmen. Sie trug einen langen leichten Mantel, der zeigte, daß sie nichts von ihrer guten Figur eingebüßt hatte. Ihr Gesicht hatte einen heiteren Ausdruck und rief mir wieder ins Gedächtnis, warum ich es so selten schaffte, nicht an sie zu denken. Ihr oder vielmehr unser Sohn war in einen viel zu großen Dufflecoat gehüllt und seinen Kopf bedeckte eine Baseballmütze, die verriet, daß er ein Fan der Toronto Dolphins war. Leider hinderte die Mütze mich daran, zu sehen, wie er wirklich aussah. Ich erinnere mich, daß ich dachte: Du kannst gar nicht in Toronto sein, du bist doch in Montreal. Im Seitenspiegel beobachtete ich, wie sie beide einen Bus
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