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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey
Autoren: Der perfekte Dreh
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strengen Worten nichts mehr hinzuzufügen. Er starrte das Foto noch lange an, bevor er sich wieder dem Brief zuwandte.
    Die nächste Gelegenheit, bei der ich Christina – mittlerweile hatte ich ihren Namen in Erfahrung gebracht – wiedersah, war der Semesterabschlußball, der in der Sporthalle der Schule stattfand. Ich dachte, ich sähe ziemlich schick aus in meinem sauber gebügelten Anzug, bis ich Greg entdeckte, der in einem eleganten, nagelneuen Smoking neben ihr stand. Ich weiß noch, wie ich mich damals fragte, ob ich mir je einen Smoking würde leisten können. Man hatte Greg einen Platz an der McGillUniversität angeboten, und diese Tatsache verkündete er jetzt allen, die es hören wollten, was mich nur noch mehr in meiner Entschlossenheit bestärkte, mich dort um ein Stipendium für das nächste Jahr zu bemühen.
    Ich starrte Christina an. Sie trug ein langes rotes Kleid, das ihre wunderschönen Beine völlig verdeckte. Ein dünner goldfarbener Gürtel unterstrich ihre zierliche Taille, und als einzigen Schmuck trug sie eine schlichte goldene Halskette. Ich wußte, wenn ich nur noch einen Augenblick länger wartete, würde ich nicht mehr den Mut haben, es durchzustehen. Ich ballte die Fäuste, ging hinüber, wo sie saßen, und verbeugte mich leicht – wie Du es mich immer gelehrt hattest –, bevor ich fragte: »Darf ich um diesen Tanz bitten?«
    Sie starrte mir direkt in die Augen. Ich schwöre, wenn sie mir befohlen hätte, hinauszugehen und eintausend Männer zu töten, bevor ich sie nochmals ansprechen dürfe, dann hätte ich’s getan.
    Sie sagte kein Wort, aber Greg beugte sich über ihre Schulter und sagte: »Warum suchst du dir nicht ein nettes Judenmädchen?« Bei dieser Bemerkung glaubte ich zu sehen, wie auf ihrer Stirn eine Unmutsfalte entstand, ich jedoch errötete wie jemand, den man beim Naschen aus der Keksdose erwischt hat. Ich tanzte an dem Abend mit niemandem. Ich ging geradewegs aus der Sporthalle hinaus und rannte nach Hause.
    Nun war ich fest davon überzeugt, daß ich sie haßte.
    In jener letzten Semesterwoche brach ich den Meilenrekord. Du warst da, um mir zuzusehen, sie Gott sei Dank nicht. Damals fuhren wir nach Ottawa, um unsere Sommerferien bei Tante Rebecca zu verbringen. Ein Schulkamerad sagte mir, Christina sei in den Ferien in Vancouver bei einer deutschen Familie gewesen. Greg sei nicht mit ihr gefahren, versicherte mir der Freund.
    Du hast mich immer wieder daran erinnert, wie wichtig eine gute Ausbildung sei, aber das wäre gar nicht nötig gewesen, denn jedes Mal, wenn ich Greg sah, war ich um so fester entschlossen, mir das Stipendium zu verdienen.
    Im Sommer ’65 arbeitete ich sogar noch verbissener, als Du erklärtest, für einen Kanadier bedeute ein Studienplatz an der McGill ebensoviel wie Harvard oder Oxford, und daß mir das für den Rest meines Lebens den Weg ebnen würde.
    Zum ersten Mal in meinem Leben hatte das Laufen zweitrangige Bedeutung für mich.
Obwohl ich Christina in diesem Semester nur selten zu Gesicht bekam, beschäftigte sie oft meine Gedanken. Ein Klassenkamerad erzählte mir, sie und Greg sähen einander nicht mehr, konnte mir jedoch keinen Grund für diesen plötzlichen Sinneswandel nennen. Damals hatte ich eine sogenannte Freundin, die in der Synagoge immer auf der anderen Seite saß
– Naomi Goldblatz, Du wirst Dich an sie erinnern –, doch sie war es, die sich regelmäßig mit mir verabredete, nicht ich.
Da meine Prüfungen näher rückten, war ich dankbar, daß Du Dir immer die Zeit nahmst, meine Aufsätze und Klassenarbeiten durchzusehen, sobald ich sie geschrieben hatte. Was Du nicht wissen konntest, war, daß ich zwangsläufig jedesmal in mein Zimmer zurückging, um sie ein drittes Mal niederzuschreiben. Oft schlief ich am Schreibtisch ein. Wenn ich aufwachte, blätterte ich um und las weiter.
Selbst Dir, Vater, der kein Gramm Eitelkeit in sich hat, fiel es schwer, vor Deiner Gemeinde zu verbergen, wie stolz Du auf meine acht glatten Einser und die Verleihung des höchstdotierten Stipendiums der McGill-Universität warst. Ich fragte mich, ob Christina davon wisse. Sie muß es gewußt haben. Mein Name stand in der darauffolgenden Woche in frischen Goldblattbuchstaben auf dem Anschlagbrett zusammen mit allen anderen, die einen Honours-Grad erhalten hatten. Also würde ihr jemand davon erzählt haben.
    Es muß drei Monate später gewesen sein, während meines ersten Semesters an der McGill-Universität, als ich sie sah. Erinnerst Du
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