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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey
Autoren: Der perfekte Dreh
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und diesen Faschisten Reynolds in die Schranken zu weisen. Ich konnte damals nicht umhin, das alles sehr ungerecht zu finden. Ich war ein echter Kanadier, in diesem Land geboren und aufgewachsen, und sie – nur eine Einwanderin! Immerhin warst Du, Vater, 1937 aus Hamburg geflohen und hattest mit Nichts angefangen. Ihre Eltern hatten erst 1949 unsere Küste erreicht, als Du in der Gemeinde bereits eine angesehene Persönlichkeit warst.
    Ich knirschte mit den Zähnen und versuchte, mich zu konzentrieren. Zatopek hat in seiner Autobiographie geschrieben, kein Läufer könne es sich leisten, während eines Wettkampfs seine Konzentration zu verlieren. Als ich die vorletzte Kurve erreichte, fing das unvermeidliche Gegröle wieder an, diesmal jedoch ließ es mich mein Tempo nur noch mehr beschleunigen und machte mich umso unbeirrbarer in meiner Entschlossenheit, den Rekord zu brechen. Sobald ich wieder sicher auf der Zielgeraden war, konnte ich hören, wie einige meiner Freunde brüllten: »Komm schon, Benjamin, du kannst es schaffen!« und als ich bei der Glocke vorbeirannte, um in die letzte Runde zu gehen, rief der Zeitmesser laut: »Dreidreiundzwanzig, drei-vierundzwanzig, dreifünfundzwanzig.«
    Ich wußte, der Rekord – vier-zweiunddreißig – war jetzt in greifbare Nähe gerückt, und plötzlich schienen mir all die dunklen Abende meines Wintertrainings der Mühe wert gewesen zu sein. In der Gegengeraden übernahm ich die Führung und hatte sogar das Gefühl, das Mädchen wieder ansehen zu können. Ich sammelte all meine Kraft zu einer letzten Anstrengung. Ein schneller Blick über die Schulter bestätigte mir, daß ich meinen Konkurrenten bereits um mehrere Meter voraus war. Jetzt kämpfte ich nur noch gegen die Uhr. Dann hörte ich das Gejohle, aber diesmal war es noch lauter als vorher: »Jude! Jude! Jude!« Es war deswegen lauter, weil die beiden jetzt unisono schrieen, und gerade als ich in die Kurve einbog, erhob Reynolds seinen Arm zu einem unmißverständlichen Nazigruß.
    Wäre ich nur zwanzig Meter weiter gelaufen, ich hätte den Schutz der Zielgeraden, die Anfeuerungsrufe meiner Freunde, den Pokal und den Rekord erreicht. Aber die beiden dort drüben brachten mich so in Wut, daß ich mich nicht länger beherrschen konnte.
    Ich schoß aus der Bahn, rannte quer über den Rasen zurück durch die Weitsprunggrube und direkt auf sie zu. Wenigstens hatte mein verrückter Entschluß ihr Gejohle gestoppt, denn Reynolds senkte den Arm und stand nur noch da und starrte mich von seinem Platz hinter der niedrigen Barriere, die den äußeren Rand der Laufbahn säumte, mit kläglichem Blick an. Ich sprang über das Geländer und landete genau vor meinem Widersacher. Mit der ganzen Energie, die ich mir für die Schlußgerade aufgespart hatte, holte ich zu einem gewaltigen Schlag aus. Meine Faust landete einen Zoll unter seinem linken Auge, und er ging in die Knie und fiel neben ihr zu Boden. Sie kniete sogleich nieder, sah zu mir auf und warf mir einen so haßerfüllten Blick zu, daß man ihn nicht mit Worten hätte beschreiben können. Als ich sicher war, daß Greg nicht wieder aufstehen würde, ging ich langsam zurück auf die Bahn, während die letzten der Läufer gerade in die Schlußkurve einbogen.
    »Wieder mal der letzte, Judenlümmel!« hörte ich sie rufen, als ich die Zielgerade entlangtrabte, bereits so weit hinter den anderen, daß man sich nicht einmal die Mühe machte, meine Zeit zu nehmen.
    Wie oft hast Du mir seitdem jene Worte zitiert: »Doch ich ertrug es mit einem geduldigen Achselzucken, denn Leiden ist das Merkmal unseres ganzen Stammes.« Natürlich hattest Du recht, aber ich war damals erst siebzehn, und selbst als ich die Wahrheit über Christinas Vater erfuhr, verstand ich nicht, wie jemand, der aus dem besiegten Deutschland kam – einem Deutschland, das von der ganzen übrigen Welt wegen der Art, wie es die Juden behandelt hatte, verurteilt wurde – sich immer noch so verhalten konnte. Damals glaubte ich wirklich, in ihrer Familie wären alle Nazis, aber ich erinnere mich, wie Du mir geduldig erklärtest, ihr Vater sei Admiral in der deutschen Kriegsmarine gewesen und mit dem Ritterkreuz dafür ausgezeichnet worden, Schiffe der Alliierten versenkt zu haben. Erinnerst Du Dich an meine Frage, wie Du gegenüber einem solchen Mann Toleranz empfinden, geschweige denn zulassen konntest, daß er sich in unserem Land niederließ?
    Du hast mir daraufhin versichert, Admiral von Braumer, der einer
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