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Arcanum – Das Geheimnis

Arcanum – Das Geheimnis

Titel: Arcanum – Das Geheimnis
Autoren: Andreas Geist
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verkneifen konnte.
    Herr Wallinger sah seinen Blick und fragte:
    „Sie halten es nicht für echt?“
    „Ich kann mir überhaupt keinen Reim darauf machen“, erwiderte Christopher diplomatisch. „Es ist dem ersten Eindruck nach eine Art Kalenderscheibe aus Mittelamerika. Solche Scheiben wurden zu Berechnungen des Datums von den Maya, Azteken und Tolteken verwendet. Wenn sie echt ist, stellt sich uns die kniffelige Frage, welcher Indio vor Jahrhunderten während eines, sagen wir mal, Kuraufenthaltes im Schwarzwald das Ding verloren oder eingegraben hat“.
    Nun musste Herr Wallinger ebenfalls lächeln. Dann wurde er wieder ernst.
    „Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Auch wenn ich nicht an Spuk und Geister glaube wie meine Frau, dieses Ding ist mir unheimlich. Ich hätte Verständnis, wenn Sie es nicht behalten wollten. Ein weiterer Grund, weshalb ich zu Ihnen komme, ist, dass ich es einem Experten übergeben möchte, bevor es Schaden nimmt.“
    Er errötete leicht, was Christopher darauf zurückführte, dass er sich in dem Moment bewusst wurde, bereits selbst ganz offensichtlich an der Scheibe herummanipuliert zu haben.
    „Würden Sie mir den Gefallen tun?“, fragte er knapp.
    „Selbstverständlich, und ich werde Sie auf dem Laufenden halten, als was sich Ihr Fund schließlich entpuppt“.
    Herr Wallinger war erleichtert. Er bedankte sich, gab ihm nochmals seine riesige Hand und verließ die Praxis.
    Als die Tür ins Schloss gefallen war, machte sich in Christophers Magen für einen Augenblick ein ungutes Gefühl breit. Er hatte durchaus Bauchgefühle. Vielleicht lag es an seinen kubanischen Genen. Seine Großmutter war in ihrer Heimat ein anerkanntes Medium gewesen. Er pflegte diese Gefühle allerdings hartnäckig zu ignorieren, weil er im Grunde nicht gelernt hatte, mit ihnen umzugehen. Sie waren ihm peinlich.
    Dieses Bauchgefühl sagte ihm jetzt, dass er im Begriff war, die vorgezeichnete Bahn seines eher durchschnittlichen Lebens zu verlassen. Der Beruf füllte ihn nach zwölf Jahren Routine nicht mehr aus. Er hatte das Zahnmedizinstudium aus für ihn typischen, rationalen Erwägungen gewählt. Das galt für alle wichtigen Entscheidungen seines Lebens, da er sich eben nicht auf Emotionen und Bauchgefühle verlassen wollte, wie das andere Menschen taten. Er wusste, dass er in dieser Hinsicht nicht normal war, zumindest empfand er sich so. Nach dem Tod seiner Mutter hatte ihn der Vater, der sich als Soldat nicht in der Lage sah, ein Baby angemessen zu versorgen, in die Obhut eines strengen Kindermädchens übergeben, für die Nestwärme ebenfalls kein Begriff war, den sie mit Inhalt füllen konnte.
    Der Vater war berufsbedingt viel unterwegs gewesen und wurde in die USA abkommandiert, nachdem er mit seinem Sohn den fünften Geburtstag gefeiert hatte. Er schickte regelmäßig Geld, um den Werdegang seines Sohnes zu unterstützen, hielt sich von da an aber gänzlich aus der Erziehung heraus.
    Für Christopher brach in dieser Zeit seine ohnehin fragile Gefühlswelt zusammen.
    Nachdem er sich durch einsame Nächte geweint hatte, entschied er an diesem fünften Geburtstag, keine Träne mehr zu vergießen und war seinem Vorsatz auf eine erschreckend konsequente Weise treu geblieben. Erst viel später erkannte er in dieser Phase seiner Kindheit die Ursache für das, was er als seine Störung betrachtete: eine Verschlossenheit und Gefühlskälte, die ihn in der Zeit des Heranwachsens oft zur Verzweiflung trieb. Entscheidungen quälten ihn, da er nicht in der Lage war, Dinge spontan und aus dem Bauch heraus zu tun. Satt dessen verrenkte er sich den Kopf, um in allen Lebenslagen jedes noch so unbedeutende Für und Wider abzuwägen, bis er schließlich jene vernichtenden Kopfschmerzen bekam, die ihn über viele Jahre begleiteten.
    In der Schule hatte er den Ruf des unnahbaren Strebers, eine Rolle, die ihn noch tiefer in die Isolation trieb. Sein Intellekt war überdurchschnittlich, vielleicht weil er sämtliche Energie aus dem emotionalen Teil seiner Persönlichkeit abzog, um sie in den rationalen hineinzustecken. Aus dieser Spirale nach unten hatte er sich in letzter Minute befreit. Mit neunzehn stand er vor der Wahl, entweder ganz in eine angehende Drogenkarriere abzugleiten, oder aber einen neuen Anfang zu finden.
    Er fand ihn. Er tat nichts weiter, als das, was ihm als Makel erschienen war, in etwas Positives umzudeuten. Er erkannte, dass in seiner Emotionslosigkeit ein enormes Potenzial steckte, und dass die Gefühle
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