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ARALORN - Der Verrat (German Edition)

ARALORN - Der Verrat (German Edition)

Titel: ARALORN - Der Verrat (German Edition)
Autoren: Patricia Briggs
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so finster war, dass sie kaum erkennen konnte, wohin sie ihre Füße setzte. Sie schmeckte das Grauen in ihrer Kehle, klebrig und beißend wie bitterer Honig, und sie wusste, dass irgendetwas Schreckliches auf sie wartete. Sie schritt eine weitere Stufe hinab und fand sich unversehens in einer engen steinernen Kammer wieder, in der es nach Abfällen und Ammoniak roch.
    Eine Frau lag auf einem Holztisch, ihr Gesicht im Tode erstarrt. Trotz ihrer Leichenblässe und den feinen Falten, die der Schmerz in ihr Gesicht gezeichnet hatte, war sie schön; ihr feuerrotes Haar wirkte im Angesicht des Todes wie Hohn. Grobe, geschärfte Metallfesseln, dicker als die bleichen Handgelenke, die sie umschlossen, hatten Narben hinterlassen. Stumme Zeugen all der Jahre, in denen die Eisen an Ort und Stelle verblieben waren.
    Am Fußende des Tischs stand ein Junge mit rabenschwarzem Haar und betrachtete die Tote. Er schenkte weder Aralorn noch irgendetwas anderem die geringste Aufmerksamkeit. Sein Gesicht wies noch die ungeformten Züge der Kindheit auf, und der Blick seiner gelben Augen war seltsam weltentrückt, während er den Leichnam ansah – ein Blick aus uralten Augen, die Aralorn seine Identität verrieten.
    Wolf, dachte Aralorn. Dies war ihr Wolf als Kind.
    »Das war meine Mutter?«, fragte der Junge, der einmal Wolf sein würde, schließlich.
    Seine Stimme überraschte sie; sie klang eher sanft als nach dem heiseren Krächzen, das sie mit Wolf in Verbindung brachte.
    »Ja.«
    Aralorn schaute sich nach dem Besitzer der zweiten Stimme um, konnte ihn jedoch nicht sehen. Nur seine Worte hallten in ihren Ohren wider – Worte ohne Modulation oder Färbung. Es hätte jeder sein können, der da sprach. »Ich dachte, du möchtest sie vielleicht sehen, bevor ich sie wegschaffe.«
    Der Junge zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, wie du darauf kommst. Kann ich jetzt wieder zu meinen Studien zurückkehren, Vater?«
    Das Traumbild verblasste, und Aralorn ging eine weitere Treppenstufe hinunter.
    »Sogar als Kind war er kalt. Unpersönlich. Widernatürlich. Böse …«, flüsterte irgendetwas in der Dunkelheit des Treppenschachts.
    Aralorn schüttelte heftig den Kopf. Sie wusste besser als jeder andere von den Emotionen, die Wolf gleichermaßen hinter einem ausdruckslosen Gesicht wie hinter der silbernen Maske zu verbergen wusste, die er für gewöhnlich trug. Im Gegenteil, er war gefühlsbetonter als die meisten Menschen. Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, als sie von einem Schrei abgelenkt wurde. Sie ging auf das Geräusch zu, stieg weiter die Treppe und in die Finsternis hinab, die sie verschluckte.
    Nackt und frierend kam sie wieder zu sich; ihr Atem stieg in einer feinen Wolke über ihr auf. Sie versuchte sich zu bewegen, um Wärme zu spüren, doch schwere Eisenketten fesselten sie dort, wo sie war. Kaltes Metall berührte ihre Kehle, und Wolf drückte die Klinge herab, bis ihr Fleisch sich unter der Schneide teilte.
    Er lächelte süß, während das Messer langsam tiefer schnitt. »Still jetzt, es wird überhaupt nicht wehtun.«
    Sie schrie, und paradoxerweise wurde sein Lächeln noch breiter, lenkte dadurch ihre Aufmerksamkeit auf sich.
    Das ist nicht Wolfs Lächeln, wurde ihr plötzlich klar. Sie kannte sein Lächeln: Es war so selten wie grüne Diamanten, nicht so routiniert wie dieses. Erbittert weigerte sie sich zu akzeptieren, was sie sah.
    Unter ihrem entsetzten Blick verwandelten sich die gelben Augen ihres Peinigers in blaue. Als er zum zweiten Mal sprach, tat er es mit der wohlklingenden Stimme des ae’Magi. »Komm, mein Sohn, es ist Zeit für dich, noch mehr zu lernen.«
    »Nein.«
    Etwas verschob sich mit unsanfter Plötzlichkeit in Aralorns Kopf und riss sie von dem Tisch zu einem Standort irgendwo hinter dem ae’Magi. Er presste sein Messer an den Hals einer blassen Frau, die vor lauter Angst nicht einmal wagte zu wimmern.
    Wahrheit, dachte Aralorn, die Richtigkeit dieses Traums spürend.
    Der Junge stand etwas abseits von seinem Vater. Er war nicht mehr so jung wie beim vorherigen Traumbild. Sein Antlitz zeigte bereits Zeichen der Angleichung an das des Erzmagiers, Gesichtsmerkmal um Gesichtsmerkmal – ausgenommen die Augen.
    »Komm«, wiederholte der ae’Magi. »Der Tod, den du ihr schenkst, wird viel leichter sein als der, den sie aus meinen Händen erfahren würde. Und für dich wird es auch leichter, Cain, wenn du tust, was ich verlange.«
    »Nein.« Der Junge, der, bevor er ihr Wolf wurde, Cain
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