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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter
Autoren: Thommie Bayer
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bückt sich danach, während die beiden Möbelpacker mit trotzigen, schuldbewussten Gesichtern den Rest hoch- und zurück auf die Ladefläche heben. Christine sieht niedergeschlagen aus, als sie die abgebrochenen Beine danebenlegt und dann hereinkommt.
    Sie sieht, dass Benno ihr entgegenblickt, lächelt, zuckt mit den Schultern und kommt zu ihm an die Theke.
    »Hallo«, sagt sie, »ich muss was trinken.«
    Er schiebt ihr ein Glas mit Latte macchiato hin, das für jemand anderen bereitsteht, und sie nimmt einen Schluck, während sie ihm immer noch in die Augen schaut. »Guck nicht so«, sagt sie.
    »Ich kann nur so«, sagt er.
    Und dann muss er weiterarbeiten, einen Kaffee nach dem anderen auf den Weg bringen, aber er versucht, den Kontakt mit ihr zu halten und das Stocken ihres Gesprächs mit einem Lächeln hier und da zu überbrücken.
    »Kommt Daniel nicht?«, fragt er.
    »Nein, er hat ein Seminar.«
    »Soll ich dir helfen? Halb acht bin ich hier fertig.«
    »Wenn du magst, ja. Ich kann’s brauchen.«
    »Geht’s dir gut?«
    »Es geht. Und dir? Daniel sagt, es läuft glänzend, und du bist zufrieden.«
    »Da hat er recht.«
    »Er redet oft von dir.«
    »Ja?«
    »Klingt immer so, als wär er stolz auf dich.«
    Eher auf sich selbst, denkt Benno, was gibt es an mir, auf das man stolz sein könnte? Ich mach Kaffee von morgens bis abends, ich geh nicht pleite, das ist alles. Nichts, worauf man stolz sein könnte. Aber dass er mich zurückgeholt hat und in die Lage versetzt, wie ein Mensch zu leben, dafür darf er sich auf die Schulter klopfen.
    »Ich mach mal weiter«, sagt sie, »darf ich zahlen?«
    »Natürlich nicht«, sagt er.
    Sie lächelt und klopft mit der flachen Hand auf die Theke. »Bis später«, sagt sie und geht.
    —
    Vielleicht sechs-, vielleicht auch siebenmal in den letzten beiden Jahren hat er Daniel gesehen. Anfangs, als sie die Einrichtung, die Finanzierung, den ganzen Start besprachen, war er zwei Wochen hier gewesen und hatte alles auf den Weg gebracht. Dann kam er nur noch selten – er schien nicht scharf auf seine Heimatstadt zu sein, und er war eingespannt. Christine und er hatten sich in Berlin ein florierendes Geschäft aufgebaut, boten Seminare aller Art an, für Behörden, Firmen und Bildungseinrichtungen. Sie hatten Angestellte und freie Mitarbeiter und verkauften heiße Luft. Selbsterfahrung, Strukturanalyse, Kommunikationstraining, Präsentationsdynamik oder was auch immer – Benno hatte Daniels Erklärungen nur mit halbem Ohr gelauscht.
    Das letzte Mal, als er hier war, fühlte sich Benno an die heiße Phase kurz vor der Psychiatrie erinnert, so hochgestimmt und fahrig wie Daniel seine neuesten Pläne heraussprudelte, so hatte er auch damals geklungen. Er war mit Daimler in Stuttgart ins Gespräch gekommen und wollte nun mit Christine hierherziehen, sobald sie für Berlin einen Geschäftsführer aufgebaut hätten. Er werde auch noch IBM und Hewlett-Packard auftun, dann lohne es sich richtig, hier unten eine Dependance zu unterhalten. Den Ausbau der Wohnung hatten sie einem Architekten übertragen – wenn er jetzt einzog, dann würde er alles zum ersten Mal sehen.
    Er war mit drei Anzügen, die er Benno überlassen wollte, hereingekommen, aber der hatte abgewinkt. Nicht nur, weil er vor den Gästen nicht wie die arme Verwandtschaft beschenkt werden wollte, er trug auch keine Anzüge, brauchte nicht mehr als eine Jacke und begann sich langsam an dem Gefälle zwischen ihnen zu stören, an das er durch Daniels Gesten und Geschenke immer wieder erinnert wurde.
    Anfangs war er noch gerührt gewesen über Daniels Mitbringsel, einmal ein ganzes Service mit Besteck, ein andermal ein Bademantel und eine Mikrowelle, dann der Fernseher – er hatte sich jedes Mal bedankt und gefreut, aber irgendwann begann sich das Ganze falsch anzufühlen, wie Almosen, und er bat Daniel, nichts mehr anzuschleppen. Inzwischen sind seine Schulden auf einen sehr überschaubaren Betrag geschrumpft, und er könnte sich kaufen, was er wollte. Wenn er etwas wollte. Aber er braucht nichts. Er hat alles.
    Der Nachmittag ist wie immer kurz. Seltsamerweise scheint gerade die Zeit, in der es etwas geruhsamer zugeht, schneller abzulaufen. Vielleicht, weil Benno in einer Art Halbschlaf solche Routinearbeiten hinter sich bringt, wie mit Peter zu telefonieren, der ihm alles liefert, Milch, Getränke, Papierhandtücher, Klorollen, Seife, Zucker, Früchte und die paar Sachen, die es zum Belegen der Brote braucht, manchmal auch
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