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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter
Autoren: Thommie Bayer
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Tür der Station hinter Daniel und Dr. Rabenhorst geschlossen hatte, fühlte sich Benno so hilflos, dass ihm nichts anderes einfiel, als nun doch zu Daniels Mutter zu gehen. Sie war noch im Morgenmantel, gab ihm eine Tasse Tee und hörte sich geduldig an, was er erzählte. Kein Wort von Koks oder Gras, aber sie wusste auch so Bescheid. Sie versprach, alles Bürokratische in die Hand zu nehmen, die Einweisung und was noch dazugehören mochte – Benno war froh, das alles nicht verstehen zu müssen, froh, sich einer erwachsenen Person anvertrauen zu können, die ihm das Gefühl gab, alles werde gut.
    —
    Als er dann aber zu Hause durch Daniels Stockwerk ging und die Verwüstung sah, riss es ihn um. Er spülte weinend alle Grasreserven ins Klo, dann jeden Koksrest, den er finden konnte, nahm eine Flasche Glenlivet aus dem abtauenden Kühlschrank, die irgendwer mitgebracht hatte, trank einen Schluck, aber er kannte sich nicht aus mit hochprozentigem Alkohol und nahm zu viel, es brannte ekelhaft, und er goss den Rest aus dem Glas in die Spüle und stellte die Flasche zurück. Er fühlte sich auf einmal wie halbiert.
    —
    Daniel und Benno waren ein Hirn in zwei Köpfen. Oder eine Seele in zwei Körpern. Oder ein vierhändiger Mensch. In Interviews behaupteten sie manchmal, nicht zu wissen, wer was spielte, aber das war gelogen. Nur für die Zuhörer konnte es so scheinen, denn man sah nur zwei Gitarristen auf der Bühne, aber hörte ein ganzes Orchester.
    Sie gingen damals maßlos, aber geschickt mit Echo und Hall um, erzeugten damit Bordune und Obertöne, ganze Sequenzen, die als Schleife immer wiederkehrten und auf denen sie ihren elegischen, satten Wohlklang ausbreiteten. Und das alles mit zwei akustischen Gitarren und einem bisschen Elektronik und Zauberei.
    Manchmal wurden sie für ein Liebespaar gehalten, weil sie immer zusammen waren, zusammen wohnten und ausgingen, sogar die Ferien gemeinsam verbrachten, aber das war Unsinn. Was sie teilten, war größer als Sex.
    Und es überstand auch schon seit Jahren jeden Spaltungsversuch, sei es den einer verliebten Freundin oder auch eines Musikers oder Produzenten, der nur einen von ihnen beiden engagieren wollte. Sie waren alles zu zweit und nichts allein.
    Daniel, der eher seriell monogam war, hatte immer wieder Freundinnen, die auch bei ihm einzogen, aber der Unmut, den die Unzertrennlichkeit der beiden Freunde bei ihnen auslöste, ließ nie lange auf sich warten. Nach kurzer Zeit fühlte sich die Freundin überflüssig und fing an, sich über Benno zu mokieren. Was Daniel dann so lange überhörte, bis sie auszog.
    Benno war in dieser Hinsicht klüger. Er hatte mehrere Geliebte gleichzeitig in verschiedenen Städten, reiste, wenn er frei hatte, zu ihnen, verbrachte ein paar schöne Tage und fuhr dann wieder ab. Aus Schaden klug geworden, hatte er irgendwann verbreitet, dass Überraschungsbesuche auf Tour nicht willkommen seien, und so das Risiko minimiert, dass sie aufeinandertrafen und er hässliche Szenen moderieren musste. Er versuchte, so wenig wie möglich zu lügen – er verschwieg nur sehr viel –, aber ihm war klar, dass er ein hinterhältiges Spiel mit den Frauen trieb. Allerdings ohne sie zu verletzen. Es liegt in der Natur solcher Verhältnisse, dass sie nach einiger Zeit erlahmen. Irgendwann kommt ein netter Typ vorbei, der in derselben Stadt wohnt, der auch mal hilft, die Wohnung zu renovieren, der einen Blumenstrauß zum Geburtstag bringt oder Tütensuppe einkauft, wenn man krank ist. Und dieser nette Typ siegt dann über den fernen Musiker und wird ein richtiger Freund. So war es immer, und so war es Benno immer recht. Er wollte nichts anderes. Das Wichtige war die Musik, alles andere war Nebensache.
    —
    Der erste Besuch endete gleich damit, dass Daniel ihn kühl des Ortes verwies und Bennos hilflose Rechtfertigungsversuche ignorierte. Jedes Wort verwandelte sich in eine Art Lüge unter Daniels Schweigen und Wegschauen. Christine, die Bennos Verletztheit und Enttäuschung spürte, legte ihm die Hand auf die Schulter und brachte ihn bis zur Stationstür.
    Am nächsten Tag fragte er nur noch am Empfang nach Schwester Christine. Sie kam nach einiger Zeit herunter und sagte: »Er redet die ganze Zeit von dir.«
    »Will er mich sehen?«
    »Nein.«
    Sie gab ihm ihre Telefonnummern auf Station und zu Hause, und sagte, er solle anrufen, sie halte ihn auf dem Laufenden. Dr. Rabenhorst sei erst am späten Nachmittag wieder hier, falls er den sprechen wolle,
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